Die beiden Hälften eines Fliegengehirns umfassen etwa 100.000 Nervenzellen. In dieser Aufnahme sind Nevennetzwerke (rot) zu sehen, die verbindenden Kommissurenbahnen sind grün eingefärbt.

Foto: Rashmit Kaur

Wien – Genau genommen haben wir zwei Gehirne in unserem Kopf, eines auf der rechten und eines auf der linken Seite. Diese beiden strukturell identischen Gehirnhälften arbeiten aber so eng zusammen, dass neuronale Information nicht nur im gesamten Gehirn repräsentiert ist, sie kann auch in unterschiedlicher Weise in den beiden Hälften analysiert werden.

Entscheidend dafür sind Millionen von Nevenverbindungen, die als dicke Kabel (Kommissuren) die Gehirnhälften miteinander verbinden. Viele neuronale Erkrankungen gehen auf eine geringere Ausbildung oder den Verlust dieser Kommissuren zurück. Die zellulären und molekularen Ursachen für dafür sind weitgehend unbekannt. Forscher der Universität Wien haben nun eine Genmutation entdeckt, die bei Fruchtfliegen dafür verantwortlich ist, dass die beiden Gehirnhälften getrennt bleiben und der Informationsaustausch nicht funktioniert.

Fatale Mutation

Die Wissenschafter untersuchten die Funktion von verwandten Genen, die beim Menschen zu einer Störung der Kommissurenbildung führen und auch in der Entwicklung des Fliegengehirns von Bedeutung sind. "Mit modernen Analysemethoden zur gezielten Manipulation einzelner Nervenzellen konnten wir die Wirkungsweise des neuronalen Oberflächenproteins L1CAM klären", sagte Rashmit Kaur, Erstautorin der Studie in "Science Advances". Mutationen in diesem Protein unterbrechen bei der Fliege das Wachstum der so genannten 'Pionier'-Kommissuren, die eine erste zelluläre Brücke zwischen den beiden getrennten Gehirnhälften bilden.

Durch den Verlust der embryonalen Neuronenbrücke können auch alle nachfolgenden Kommissuren den "Sprung" auf die andere Gehirnseite nicht schaffen, die Hemisphären bleiben in der Folge getrennt. Die intakte menschliche Version des Proteins konnte den Defekt im Fliegenhirn jedoch beheben. "Das deutet auf einen vergleichbaren Entwicklungsprozess bei Fliege und Mensch hin", so die Forscher. "Wir wollen nun in weiterführenden Studien versuchen, die genauen Veränderungen bei neuronalen Erkrankungen des Menschen besser zu verstehen und damit spannende Einblicke in die Evolution von einfachen zu komplexen Nervensystemen gewinnen", sagte Studienleiter Thomas Hummel. (red, APA, 26.10.2019)