Singvogel mit biologischer Uhr, die sich dem Klimawandel angepasst hat: der Trauerschnäpper.

Foto: Martin

Der Trauerschnäpper hat – wie andere Zugvögel auch – einen strikten Lebensplan. In Mitteleuropa ist er von April bis September verbreitet, fühlt sich in Wäldern zu Hause, wo es genügend Nisthöhlen gibt. Im Winter lebt er in Afrika. Der Zeitpunkt der Rückkehr muss möglichst exakt sein, weil ganz oben auf dem Speiseplan des leicht und fragil gebauten Vogels Raupen stehen, die nur ganz kurze Zeit in großer Zahl existieren.

Eberhard Gwinner, ein deutscher Ornithologe, hat schon 1981 in einem mittlerweile legendären Experiment gezeigt, dass eine Art innere Uhr für das richtige Timing der Vögel zuständig ist. Dabei nützte er von der Umwelt abgeschirmte Käfige. Er zog die Tiere von Hand auf – und erkannte, dass sie unruhig wurden, als es Zeit für die Wanderung war.

Nun haben sich aber die Bedingungen drastisch geändert. Aufgrund des Klimawandels beginnt der Frühling in mitteleuropäischen Breiten früher und ist meist auch kürzer. Daher stellten sich Ornithologen die Frage, ob ein Vogel wie der Trauerschnäpper auch jetzt noch weiß, wann es Zeit ist, zurückzufliegen – ob er sich also an die neuen Gegebenheiten anpasst. Bereits 2002 hat eine Gruppe um Gwinner und um die Biologin Barbara Helm das Experiment mit Originalkäfigen, älteren und neueren Messgeräten wiederholt. Dabei entdeckten sie, dass es eine evolutionäre Reaktion auf den Klimawandel gibt.

Verspätete Publikation

Die Ergebnisse der Studie wurden allerdings erst jetzt im Fachjournal Current Biology publiziert. Der Grund für die Verspätung: Gwinner verstarb kurz vor Abschluss des zweiten Experiments, und Helm war damals mit einer Reihe von Postdoc-Projekten beschäftigt. Im vergangenen Jahr wurde sie an die Universität Groningen berufen und begann, die alten Daten zu sichten.

Waren die Vögel bereit, ins "Frühjahrsquartier" zu ziehen und sich zu paaren, begann wieder eine deutliche Unruhe in den Käfigen – nur jetzt um ganze 9,3 Tage früher als im ersten Experiment. Auch die Fortpflanzungsorgane, die im Winter kleiner werden, wuchsen nun früher wieder an. Die Wanderungsaktivitäten im Herbst begannen dagegen nur leicht verspätet.

Helm wollte die alten Laborergebnisse aber auch mit aktuellen Ergebnissen von in Freiheit lebenden Trauerschnäppern vergleichen. Dazu wurden die Daten von einem Ehepaar herangezogen, die seit den frühen 1970er-Jahren als Citizen Scientists Trauerschnäpper beobachten und daher Reproduktionsdaten innerhalb von weit mehr als 40 Jahren gesammelt haben. Die Laborergebnisse waren durchaus vergleichbar, zumal das Paar, Dieter und Ute Hoffmann, in einer Region lebte, aus der die Wissenschafter die Jungvögel für die Laborversuche einfangen konnten. Die Vögel legten laut diesen Daten ganze elf Tage früher ihre Eier.

Hohes Anpassungspotenzial

Das Ausmaß der evolutionären Anpassung der biologischen Uhr an den Klimawandel hat Helm überrascht. So ein hohes Potenzial hätte sie gar nicht für möglich gehalten, meint sie in einer Aussendung der Universität Groningen. Ob das auch zu einer Verbesserung der Lebensbedingen der Trauerschnäpper führt, sei allerdings völlig unklar. Im Sommer dieses Jahres konnte nämlich eine andere Gruppe der niederländischen Hochschule ein nicht minder bemerkenswertes Paper über Frühlingsaktivitäten von Zugvögeln in Current Biology publizieren: Damals waren aber nicht die Trauerschnäpper die Protagonisten, sondern die ebenfalls in Baumhöhlen nistenden, stärkeren Kohlmeisen, die meist auch im Winter in den Brutgebieten bleiben.

Im Frühjahr achtet der Vogel sehr auf mögliche Nahrung für die aufzuziehenden Jungtiere, auf Raupen, und reagiert gegenüber möglichen anderen Interessenten sehr aggressiv. Ein Postdoc erkannte, dass viele Trauerschnäpper von den stärkeren Kohlmeisen im Kampf um Nahrung und mögliche Nistplätze brutal getötet wurden.

So gesehen wäre eine spätere Rückkehr der Trauerschnäpper nach Europa trotz Klimawandels vielleicht gar kein Fehler. Wenn es dann noch genug Raupen gäbe. (Peter Illetschko, 27.10.2019)