Im nigerianischen Bundesstaat Borno feiern Frauen den Valentinstag zu Hause. In zwölf Bundesstaaten ist die Scharia das geltende Rechtssystem, westliche Bräuche sind nicht akzeptiert.

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Der Jubel war groß vor 20 Jahren im Bundesstaat Zamfara im Nordwesten Nigerias. Am 27. Oktober 1999 verkündete Gouverneur Ahmed Sani Yerima in der Provinzhauptstadt Gusau, dass künftig die Scharia gelten solle. Bei der öffentlichen Kundgebung, die acht Monate nach dem Ende der jahrzehntelangen Militärherrschaft und der Rückkehr zum Mehrparteiensystem stattfand, waren viele Muslime begeistert. Sie hofften, dass der Alltag endlich besser werden, es mehr Gerechtigkeit sowie staatliche Unterstützung für Arme geben, Bildungssystem und Infrastruktur ausgebaut werden könnten und die grassierende Korruption endlich eingedämmt werden könnte. Das komplexe System aus Rechten, Pflichten und Normen gilt schließlich als ethische Leitschnur für Muslime.

"Der Wunsch nach der Einführung war deshalb durchaus nachvollziehbar", sagt Cornelius Omonokhua, Geschäftsführer des Interreligiösen Rates von Nigeria (Nirec) in der Bundeshauptstadt Abuja. Außerdem hatte die Scharia in der Region des heutigen Nordnigerias eine lange Tradition. Vor der Kolonialisierung im 19. Jahrhundert galt sie in den damaligen Sultanaten Sokoto und Borno. Diese waren mächtige und prosperierende Reiche.

Gewalt gegen Frauen

In Minna, Hauptstadt des Bundesstaates Niger, wo die Scharia ebenfalls gilt, verzieht die 23-jährige Frauenrechtsaktivistin Amrah Aliyu spöttisch den Mund. "Mehr Moral durch die Scharia?", fragt sie zynisch, "die Moral haben wir längst verloren. Es gibt kaum noch Menschen, die anständig sind." Die schmächtige Frau, die Muslimin ist und auch als Journalistin arbeitet, schreibt unter dem Hashtag #ArewaMeTooMinna über Vergewaltigung und Missbrauch. Ihrer Meinung nach hat die Scharia keinesfalls dafür gesorgt, dass Frauen besser vor Übergriffen geschützt sind. Männer würden sich nicht an Vorschriften halten, Frauen einander gegenseitig die Verantwortung zuschieben. "Nach Vergewaltigungen heißt es gern: Wenn sie sich bloß nicht so gekleidet hätte. Dabei hat kein Mann das Recht, eine Frau ohne ihr Einverständnis anzufassen."

Auch George Ehusani, katholischer Priester und Direktor der Stiftung Lux Terra in Abuja, kann der Scharia nichts abgewinnen. "Es ging nicht um eine ernsthafte religiöse Dimension. Es war vielmehr eine politische Entscheidung." Diese sollte von der schlechten Regierungsführung ablenken. Den Politikern – nach Zamfara wurde die Scharia in weiteren elf Bundesstaaten des Nordens mit mehrheitlich muslimischer Bevölkerung eingeführt – brachte dies Wählerstimmen.

Keine christliche Intervention

Profitiert hat aber auch ein Christ, der damalige Präsident Olusegun Obasanjo, der aus dem Südwesten Nigerias stammt. Ihm konnte niemand vorwerfen, die Einführung der Scharia vorangetrieben zu haben. Da er nicht intervenierte, erhielt er jedoch die Loyalität der Gouverneure aus dem Norden. Die christlichen Minderheiten dort – vor allem in den Bundesstaaten Kaduna und Kano – demonstrierten jedoch gegen die Gesetzgebung, da sie Angst vor unvorhersehbaren Konsequenzen hatten. Im Jahr 2000 starben zwischen 1300 und 5000 Menschen.

20 Jahre später hat nach Einschätzung von George Ehusani unter der Einführung der Scharia vor allem die arme Bevölkerung gelitten. Nie würden wohlhabende Menschen zu drastischen Strafen wie Steinigungen verurteilt.

Noch immer ist der Norden Nigerias weit abgehängt. Kinder gehen im Schnitt nur gut vier Jahre zur Schule, während die Schulzeit in anderen Regionen doppelt bis dreimal so lang ist. Gesundheitsversorgung und Infrastruktur sind schlecht geblieben. Auch konnten Gründung und Ausbreitung der Terrorgruppe Boko Haram nicht verhindert werden. (Kathrin Gänsler aus Abuja, 25.10.2019)