Nach ein paar Jahren der Waren- und Personenfreizügigkeit innerhalb der EU hat spätestens seit 2015/16 die (Wieder-)Errichtung von Grenzen einen deutlichen Aufschwung erlebt. Auch in Österreich zeichnete sich rasch eine zunehmend restriktive Grenz- und Asylpolitik ab – man denke an wiedereingeführte (und noch immer durchgeführte) Grenzkontrollen etwa an der Grenze zu Slowenien oder an die "Obergrenze" der zugelassenen Asylanträge pro Jahr. Im Lichte rechtspopulistischer Rhetorik und einer Politik mit der Angst werden neben symbolpolitischen Maßnahmen wie der Kürzung der Mindestsicherung für anerkannte Flüchtlinge auch Grenzen als adäquate Mittel propagiert und eingesetzt, um Österreich zu "beschützen".

So wurde publik, dass der ehemalige Innenminister Herbert Kickl die Errichtung eines Grenzzauns analog zu Ungarns Südgrenzzaun prüfen ließ. Auch die Durchführung und mediale Begleitung einer kostspieligen Grenzabwehrübung in Spielfeld 2018 zeugt davon, dass gezielt diffuse Ängste bespielt werden. Dem gegenüber stehen die stetig sinkenden Asylantragszahlen: Gab es 2015 noch 88.340 Antragstellerinnen und Antragsteller, so waren es 2016 nur noch 42.285, ein Jahr später 24.735 und 2018 schließlich 13.746 – deutlich weniger als der Jahresdurchschnitt der letzten Jahre (zwischen 2003 und 2014) von circa 18.500 Anträgen.

FPÖ-Plakat, das für "sichere" Grenzen wirbt.
Foto: Sabine Lehner

Medialer Diskurs

Nach einer anfänglich positiven Medienberichterstattung verzeichnete man 2015 und 2016 diskursive Verschiebungen in der Repräsentation von Geflüchteten in den Medien. Geflüchtete wurden vornehmlich als Bedrohung für die österreichische Bevölkerung dargestellt. Man griff auf eine Naturkatastrophenmetaphorik ("Flüchtlingswelle", "Flüchtlingskrise", "Flüchtlingsstrom") zurück. Dazu trug außerdem eine krisenorientierte und entindividualisierte Repräsentation bei ("Flüchtlingskrise", "Flüchtlingsbewegung").

Auch wurde zunehmend teils undifferenziert von Migrantinnen und Migranten und Flüchtlingen gesprochen, was ein potenzielles Bestehen eines Anspruchs auf internationalen Schutz in den Hintergrund drängte. Die Etablierung von Grenzmaßnahmen wurde anfänglich nur zögerlich durchgesetzt, und es wurde vermieden, diese Maßnahmen explizit als solche zu bezeichnen ("Türl mit Seitenteilen"). Andere Euphemismen wie "Grenzmanagement" oder "Festung Europa" als gesetztes Ziel der Grenzpolitik charakterisieren die Absicht, Zuwanderung zu kontrollieren.

Die Legitimierung von Grenzmaßnahmen folgte dabei unter anderem einem typischen diskursiven Muster, wie wir es auch aus den USA oder Israel kennen: Geflüchtete werden als "anders" und als Gefahr dargestellt, gegen die es die eigene (österreichische) Bevölkerung zu schützen gilt. Eine solche Gegenüberstellung macht schließlich die Errichtung von Grenzen und die Einschränkung von Menschenrechten plausibel.

Der Grenzzaun bei Spielfeld in der Steiermark: ein Brennpunkt in den Jahren 2015 und 2016.
Foto: APA/HARALD SCHNEIDER

Grenzerfahrungen während der Flucht

Im Gegensatz zum medialen Diskurs, in dem Geflüchtete häufig als mobil und bedrohlich dargestellt werden und Betroffene kaum selbst zu Wort kommen, zeichnen individuelle Erzählungen von Geflüchteten andere Bilder: von Willkür und Abhängigkeit von Schleppern und Soldaten, fehlender Sicherheit und Versorgung, Kriminalisierung aufgrund von Grenzübertritten, Immobilität, überfüllten Booten, ertrinkenden Menschen, Todesängsten et cetera.

Selbst wenn nicht alle für diese Studie befragten Personen eine derart gefährliche Flucht über das Mittelmeer hinter sich haben, so gestaltete sich die Ausreise und Flucht in den meisten Fällen, etwa angesichts von Ausreiseverboten oder Verfolgung, als schwieriges Unterfangen. Das Sprechen über diese Erfahrungen und das Verlassen des Herkunftslandes fallen jedenfalls allen Befragten schwer.

Grenzen in Österreich: Handlungsbeschränkungen, Ungewissheit und anhaltendes Warten

Nach dem Überwinden vieler Staatsgrenzen scheint es, als dürften sich Asylwerberinnen und Asylwerber selbst Jahre nach ihrer physischen Ankunft nicht angekommen und in Sicherheit fühlen: Aufgrund der ungewiss langen Dauer von Asylverfahren wissen Asylwerberinnen und Asylwerber nicht, ob sie in Österreich bleiben dürfen.

Erschwerend kommen umfassende Handlungsbeschränkungen dazu, die von vielen als andauernde Grenzerfahrung erlebt werden. Insbesondere dann, wenn Asylwerberinnen und Asylwerber in organisierten Unterkünften mit Vollverpflegung leben, in denen die Möglichkeiten der autonomen Lebensführung oft maßgeblich beschnitten sind: Nicht selbst entscheiden zu dürfen, wo und wie man wohnt, wann und was man isst, und die eigenen Lebensumstände nicht selbst gestalten zu können wird von vielen als belastend empfunden.

Viele der befragten Personen haben den großen Wunsch, endlich arbeiten, selbstständig wohnen und ein "normales" Leben in Österreich führen zu dürfen. Rechtlich gesehen sind Asylwerberinnen und Asylwerber in Österreich allerdings – im Gegensatz zu anderen Staaten wie Deutschland – vom regulären Arbeitsmarkt ausgeschlossen. Die wenigen Ausnahmen wie temporäre Saison- und Erntearbeit unterliegen einer Einkommensgrenze von circa 200 Euro. Weiters besteht die Möglichkeit, gemeinnützige beziehungsweise andere ehrenamtliche Arbeiten zu übernehmen, was mittlerweile auch im Asylverfahren von Asylwerberinnen und Asylwerbern erwartet wird. Asylwerberinnen und Asylwerber, denen dies möglich ist, sprechen dieser Tätigkeit eine große Sinnstiftung zu.

Mit Grenzen soll die "Festung Europa" geschützt werden.
Foto: Sabine Lehner

Viele haben es geschafft, Kontakte und Freundschaften in Österreich zu knüpfen, Deutsch zu lernen und vorhandenen Bildungs- und Beschäftigungsmöglichkeiten nachzugehen. Allerdings gehen infolge eines ungewissen Aufenthaltsstatus und umfassender Handlungsbeschränkungen manche zunehmend in einen passiven Modus über. Dieser Zeitraum wird von vielen als verlorene Zeit empfunden. Initiativen der Zivilgesellschaft und NGOs arbeiten diesen strukturellen Beschränkungen entgegen und kompensieren die fehlende systematische staatliche Unterstützung, indem sie Beratung, Deutschkurse und andere Bildungsprogramme anbieten und somit "Integration" beziehungsweise "Ankommen" unterstützen.

Deutscherwerb

Besonders deutlich zeigen sich die Paradoxien des österreichischen Asylwesens in Bezug auf den Erwerb der deutschen Sprache: Obwohl die Gewährung von Asyl eigentlich unabhängig von "Integration" und dem Spracherwerb ist, wird von Asylwerberinnen und Asylwerbern mittlerweile erwartet, rasch Deutsch zu lernen und dies im Rahmen des Asylverfahrens nachzuweisen. Diese Vorgehensweise beruht auf der Annahme, dass nachweisbare und gute Deutschkenntnisse als Indikatoren für "Integration" gelten.

Dies steht allerdings unter anderem im Widerspruch zu den fehlenden Möglichkeiten, während des Asylverfahrens durchgängig Sprachkurse zu besuchen, was zuletzt unter der türkis-blauen Regierung erneut erschwert wurde. Der Deutscherwerb liegt somit überwiegend in der Selbstverantwortung des Einzelnen (oder des zivilgesellschaftlichen Engagements), welche aber, wie gezeigt, mit umfassenden Beschränkungen verbunden ist. Derlei Paradoxien können mit Elfriede Jelineks Worten aus "Die Schutzbefohlenen" gut zusammengefasst werden: "Wir sind gar nicht da. Wir sind gekommen, doch wir sind gar nicht da." (Sabine Lehner, 30.10.2019)