Zärtlich und wütend: Der alte Hippie Neil Young arbeitet sich auf seinem Album "Colorado" an seinen ewig akuten Themen ab.

Daryl Hannah

Neil Young ist ein treuer Polygamist. Er mag hin und wieder lumpen gehen, sich mit anderen Bands vergnügen, aber irgendwann kehrt er wieder zu Crazy Horse zurück. "Ich könnte es nicht ohne euch", sagte er in der Dankesrede anlässlich seiner Aufnahme in die Rock 'n' Roll Hall of Fame 1995.

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Zuletzt ging er öfter fremd. Mit den Jungs von Promise Of The Real nahm er Platten auf, für sein jetzt erschienenes 39. Studioalbum Colorado hat er aber Crazy Horse wieder aus dem Stall geholt. Zum 19. Mal in 50 Jahren ist der verrückte Gaul seine Begleitband für ein Album. Zuletzt half sie dem demnächst 74 Jahre alt werdenden Kanadier 2012, das Album Psychedelic Pill zu realisieren. Es war das letzte, auf dem Frank Sampedro zu hören war. Der alte Tunichtgut hat für das "crazy" im Horse gesorgt. Jetzt lebt er in Hawaii, taucht und pflanzt Zeug an – wahrscheinlich rauchbares Zeug.

Auf Psychedelic Pill zeigte der alte Gaul bereits einige Schwächen. Etwa im Song Driftin' Back, in dem sich mehr als ein grober Hacker findet, sowohl von Drummer Ralf Molina verbockt als auch von Sampedro. Das fast halbstündige Lied war von Young wohl zu episch entworfen. Dabei zählte genau das zur Stärke der nach einem Krieger des Lakota-Stammes benannten Band: langen hypnotischen Songs souverän Halt und Form zu geben. Vor allem das sture, dabei immer lässig verhatschte Schlagzeug von Molina war so verlässlich, wie es sonst nur der Herzschlag von Frischverliebten ist.

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An der Bruchlinie der Stimme

Colorado ist nun zwar frei von ungewollten Brüchen, wie sie in Driftin' Back auftauchen, dafür tritt ein anderer Makel zutage: Sampedro fehlt. Er besorgte vielen Neil-Young-Alben die notwendige Härte im Vollzug. Der breit gebaute, auf der Bühne eher immobil wirkende Gitarrist straffte viele Lieder mit harten Riffs. Ohne den Mann, den immerhin Nils Lofgren ersetzt, sucht Young im Midtempo seinen Ausdruck. Die ohnehin hohe Kopfstimme zieht er oft nahe an ihre Bruchlinie, statt einer grimmigen Gitarre klimpert öfter das Klavier. Das ist nicht unhübsch, doch es verwässert den Crazy-Horse-Sound. Das Album wirkt stellenweise wie der lasche Bruder des sinisteren Sleeps with Angels von 1994. War das damals so etwas wie eine Trauerarbeit nach dem Tod Kurt Cobains, so ist Colorado inhaltlich ein traditionelles Neil-Young-Werk. Klimawandel, fehlende Sensibilität der Erdlinge gegenüber ihrem Lebensraum, alles, was Young als alter Hippie schon seit Jahrzehnten verkündet, ist so aktuell und akut wie noch nie.

Den Zorn gegenüber den dafür Verantwortlichen hegt er ebenso wie seine Liebe für analoge Aufnahmetechnik und ihre Tonträger. Help Me Lose My Mind ist auf Colorado der erste Song, der diesen Gram adäquat umsetzt. Zu groben Riffs und Rhythmen speit Young sein Unverständnis in die Welt raus. "Mag mir nicht jemand helfen, meinen Verstand zu verlieren?", singt er, und betrachtet man den Zustand des Planeten, versteht man ihn. Shut It Down markiert schließlich den Gipfel seiner Rage: "Shut the whole system down", grummelt der Chor, während Young von der Rettung der Welt singt. Gerechter Zorn, musikalisch allerdings ein etwas plumper Rocker.

Geheime Meisterwerke

Andererseits – wahrscheinlich sind manche Lieder gar nicht so schlecht. Doch Young und Crazy Horse haben ihr Publikum mit so vielen tollen Alben und Songs verwöhnt, dass die Messlatte entsprechend hoch liegt. Man vermisst hier die sich aufbauenden Country-Rock-Nummern, in denen das Gitarrenspiel dieses Instinktmusikers auf der Langstrecke erblüht. Selbst die Kleinode besitzen nicht den Charme, den die Band früher freisetzen konnte. Think Of Me schafft das am ehesten, She Showed Me Love mit seinen fast 14 Minuten fehlt hingegen die Sogwirkung, den Songs von vergleichbarem Format entwickelten. Er kommt nicht in die Nähe eines Down By The River oder eines Love And Only Love.

Dennoch hat sich bei Young eines schon öfter bestätigt: Colorado mag eines der vielen Zwischenwerke in seinem OEuvre sein. Retrospektiv haben sich manche dieser Arbeiten aber als geheime Meisterwerke erwiesen. Vielleicht ist Colorado diese Zukunft bestimmt – selbst wenn der Verdacht sich anfangs nicht wirklich aufdrängt. (Karl Fluch, 28.10.2019)