Bild nicht mehr verfügbar.

Foto: Getty Images

Wien – Seit Sommer 2017 gilt in Österreich die Ausbildungspflicht. Jugendliche müssen bis zum 18. Geburtstag eine weiterführende Schule besuchen oder alternative Ausbildung machen. Eine neue Studie des Instituts für Höhere Studien (IHS) und des Österreichischen Instituts für Berufsbildungsforschung (ÖIFB) zeigt nun, dass diese Maßnahme dem Staat langfristig viel Geld und potenziell mehr soziale Gerechtigkeit bringt. Es gibt aber auch noch Nachbesserungsbedarf.

Wer nur die Pflichtschule abgeschlossen hat, wird öfter und länger arbeitslos, hat mehr Gesundheitsprobleme und scheidet früher aus dem Berufsleben aus. Dadurch entstehen dem Staat über die gesamte Lebensdauer 1,8 Millionen Euro an zusätzlichen Kosten, verweist man im Sozialministerium zudem auf eine Studie der EU-Kommission.

Fast ein Zehntel Schulabbrecher

Die Ausgangslage: In Österreich haben im Jahr 2016 knapp neun Prozent der 15- bis 17-Jährigen ihre Ausbildung frühzeitig abgebrochen. Die Ausbildungspflicht soll verhindern, dass nach der Pflichtschule keine weitere Ausbildung abgeschlossen wird. Wenn durch diese Maßnahme künftig auch nur die Hälfte der Bildungsabbrüche vermieden werden kann, dann bringt allein das laut Studie nach zehn Jahren schon eine Steigerung des Bruttoinlandsprodukts (BIP) um 110 Millionen Euro jährlich, und nach 50 Jahren sollen es dann 4,4 Milliarden Euro pro Jahr sein. Gleichzeitig gehen IHS und ÖIFB davon aus, dass das Budgetdefizit dadurch langfristig um 0,4 Prozent des BIP sinken wird, während Lohn- und Umsatzsteueraufkommen um je 100 Millionen Euro und die Sozialversicherungsabgaben um 200 Millionen Euro pro Jahr steigen.

Die Studienautoren orten in der "umfassenden Strategie zur Reduktion frühen Schulabbruchs" außerdem erhebliches Potenzial für mehr soziale Gerechtigkeit. "Anstelle eines ,more of the same', das bei der durch die Ausbildung bis 18 angesprochenen Zielgruppe nach neun Pflichtschuljahren nicht zum gewünschten Bildungserfolg geführt hat, eröffnet dieser Ansatz alternative Möglichkeiten, einen Abschluss zu erlangen."

Niederschwellige Angebote

Neben Schule und Lehre kann die Ausbildungspflicht nämlich etwa auch durch Angebote der Erwachsenenbildung, Vorbereitungskurse für Externistenprüfungen oder andere Ausbildungen sowie durch die Teilnahme an arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen erfüllt werden. Die Umsetzung läuft dabei teilweise über niederschwellige Angebote wie das Projekt "Tore für die Zukunft", bei dem das Spielen im Fußballverein mit Berufsorientierung kombiniert wird.

Es gibt aber noch Luft nach oben: Nachbesserungsbedarf sehen IHS und ÖIFB etwa bei der überbetrieblichen Ausbildung für jene, die keine Lehrstelle gefunden haben. Derzeit werde diese "regional und konzeptionell sehr unterschiedlich (erfolgreich) umgesetzt".

Maßnahmen wie Schulsozialarbeit und -psychologie, Jugendcoaching am Übergang von der Schule in den Beruf und das Lehrlings- und Lehrbetriebscoaching zur Vermeidung von Abbrüchen sind laut Studie "für die Prävention von Drop-out von hoher Relevanz". Allerdings gibt es zu wenig davon. Auch die Vernetzung mit Vereinen, Stadtteil- und Grätzlarbeit müsste noch viel umfassender mitgedacht werden, um Bildungsabbruch zu vermeiden.

Regelschule statt Sonderschule

Bei Sonderschulabsolventen wird darauf verwiesen, dass der Besuch einer Regelschule die Chancen auf eine Fortsetzung der Bildungskarriere deutlich erhöht. Soll die Ausbildungspflicht ein Erfolg werden, müssten die Zuständigen sich außerdem vom Denken in Finanztöpfen und eng interpretierten Zuständigkeiten und Mandaten verabschieden, fordern die Studienautoren.

Seit dem Start der Ausbildungspflicht bis 18 muss gemeldet werden, wenn ein Jugendlicher seine Ausbildung abbricht. Beginnt er innerhalb von vier Monaten danach keine neue, nehmen Koordinierungsstellen des Sozialministeriums Kontakt zu ihm auf. Dabei sind sie äußerst hartnäckig, wie im Ministerium betont wird – auch ein Dutzend Briefe und Anrufe pro Fall können vorkommen. Gemeinsam mit dem Jugendlichen wird dann nach einem alternativen Ausbildungsweg gesucht, oder es werden Perspektiven- oder Betreuungspläne für sie erstellt.

Zwei Drittel erfolgreiche Fälle, ein Drittel nicht erreichbar

2.390 Jugendliche zwischen 15 und 18 wurden heuer bisher begleitet, in zwei Dritteln der Fälle war das Ergebnis der Betreuung laut Sozialministerium positiv: Jeder bzw. jede fünfte kontaktierte Jugendliche ist direkt wieder in Schule oder Lehre eingestiegen, ebenso viele werden von Jugendcoaches bei der Suche nach dem passenden Ausbildungsweg unterstützt. Bei einem Drittel der Jugendlichen wurde die Betreuung erfolglos beendet, meist weil diese nicht erreichbar waren.

Bei Nichteinhaltung der Ausbildungspflicht können Strafen bis zu 500 bzw. im Wiederholungsfall bis zu 1.000 Euro verhängt werden. Für Roland Sauer, Sektionschef im Sozialministerium, ist das aber die "ultima ratio", man setze auf Beratung. Bisher mussten die Bezirksverwaltungsbehörden noch nie eine Strafe aussprechen.

Bildungspflicht soll folgen

Geht es nach dem Bildungsministerium, soll zur Ausbildungspflicht bis 18 bald eine Bildungspflicht dazukommen. Jugendliche sollen dann nicht nach neun Jahren Schulpflicht das System verlassen können, sondern erst dann, wenn sie ein Mindestniveau in Lesen, Rechnen und Schreiben vorzuweisen haben. Diesbezüglich angedacht sind entweder Kursmodule an den Polytechnischen Schulen oder Angebote aus der Erwachsenenbildung. Mit 18 soll aber auch hier Schluss sein. (red, APA, 28.10.2019)