Fernández (rechts) war mit der umstrittenen Ex-Präsidentin Cristina Kirchner (links von ihm) angetreten

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Bis tief in die Nacht feierten Fernández-Anhänger in Buenos Aires

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Buenos Aires – Nach vier Jahren ist das liberale Experiment in Argentinien zu Ende, und die Peronisten übernehmen wieder die Macht. Bei der Präsidentschaftswahl am Sonntag kam der liberale Amtsinhaber Mauricio Macri auf 40,7 Prozent. Das reichte allerdings nicht, um den Wahlsieg in der ersten Runde seines Herausforderers Alberto Fernández zu verhindern, der 47,7 Prozent der Stimmen auf sich vereinen konnte. Es ist das erste Mal seit der Rückkehr zur Demokratie, dass eine nicht-peronistische Regierung ihre Amtszeit regulär beendet. Das Ergebnis fiel knapper aus als es erwartet worden war und –nimmt man die Prozentzahlen der unterlegenen bürgerlichen Kandidaten hinzu – spiegelt ein in nahezu gleich große Teile ideologisch gespaltenes Land wider.

In seiner weitgehend inhaltslosen Siegesansprache vor tausenden jubelnden Anhängern bat Fernández alle um Unterstützung, denn es stünden schwere Zeiten bevor, um aus den hinterlassenen Ruinen wieder ein solidarisches Land zu bauen. Er werde alles tun, um die pleite gegangenen Fabriken wieder in Gang zu setzen und das staatliche Bildungssystem auf Vordermann zu bringen.

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"Verantwortungsvolle, konstruktive Oppositionsrolle"

Macri betonte derweil, er übergebe ein Land mit solideren Grundlagen, einer modernen Infrastruktur und einem lebendigen Föderalismus. Argentinien habe seine politische Kultur geändert, die gegnerischen Lager gingen nun respektvoller miteinander um, das sei sein Erbe. Seine Partei werde eine verantwortungsvolle, konstruktive Oppositionsrolle spielen. Dafür erhielt der im Dezember scheidende Amtsinhaber großen Applaus. Macris liberale Koalition verlor zwar die Präsidentschaft und die wichtige Provinz Buenos Aires, jedoch wurde der amtierende Bürgermeister Horacio Larreta in der Stadt Buenos Aires wiedergewählt. Die Hauptstadt dürfte fortan die konservativ-liberale Bastion sein.

Argentinien steht vor turbulenten Zeiten. Für Fernández, der als gemäßigter Sozialdemokrat gilt, und seine deutlich links von ihm stehende Vizepräsidentin Cristina Fernández de Kirchner, wird das Regieren nicht einfach. Argentinien steckt in einer tiefen Wirtschaftskrise und ist mit 284 Milliarden US-Dollar im Ausland verschuldet. Hauptgläubiger ist der Weltwährungsfonds (IWF). Argentinien hat außerdem die zweithöchste Inflation des Kontinents nach Venezuela und 35 Prozent Armut. Ein durch die Massenflucht in den Dollar abgestürzter Peso macht das Panorama noch komplizierter.

Erwartungen an Fernández

Mit einem spektakulären Crash und Default wie 2002 rechnen jedoch wenige. "Die Märkte haben den Default schon vorweggenommen", sagt der Ökonom Alejandro Rebossio. Er rechnet mit einer einvernehmlichen Umschuldung, womöglich auch mit Schuldenschnitt. "Doch um Strukturanpassung wird Fernández nicht herumkommen, und da beginnen die politischen Probleme, denn die Menschen erwarten von ihm eine rasche Verbesserung ihrer wirtschaftlichen Situation." Viel Wachstumsspielraum habe Argentinien in einer immer protektionistischeren Weltwirtschaft jedoch nicht, so Rebossio.

Auch die Gouverneure erwarteten von Fernández eine Belohnung für ihre Unterstützung, sagt die Ökonomin Mariel Fornoni. Hinzu komme der Einfluss radikal linker Gewerkschaften und des linksperonistischen Flügels der Campora – beide gehören zum Lager der Vizepräsidentin, gegen die außerdem mehrere Korruptionsprozesse laufen. Der Gouverneur der einflussreichen Provinz Buenos Aires, Axel Kicilof, ist ebenfalls ein Vertrauter Kirchners, in deren Händen damit wichtige Fäden der Macht zusammenlaufen. Alberto Fernández ist von diesem Flügel ideologisch distanziert. "Da gibt es Potenzial für Spannungen", so Fornoni. "Der Präsident muss mehrere Bomben entschärfen, und hat weder viel Zeit noch viel Spielraum."

"Unversöhnliche Lager"

Für den Wirtschaftsprofessor Rafael Flores liegt das grundlegende Problem woanders. Sowohl der marktliberale Macrismo als auch der staatskapitalistische Kirchnerismo hätten rund ein Drittel der Bevölkerung hinter sich. "Beide Lager sind unversöhnlich, und dabei bleiben grundlegende Fragen ungelöst – was wir künftig exportieren, wie wir mit China mithalten und welche Jobs unsere Kinder einmal ausüben sollen." Die argentinische Mentalität mache diesen fehlenden Konsens nicht einfacher: "Wir wollen magische Lösungen.Und unsere Politiker unterschätzen die Probleme und überschätzen sich selbst." (Sandra Weiss, 28.10.2019)