Der Einsatz von medizinischem Cannabis boomt. Die Studienlage zur Wirkung von Cannabinoiden ist allerdings noch weitgehend dürftig.

Foto: APA/HANS KLAUS TECHT

Die Cannabispflanze enthält mehr als 100 sogenannte Cannabinoide, die wenigsten davon haben eine psychoaktive Wirkung. Für den berauschenden Effekt sorgt Tetrahydrocannabinol (THC). Neben THC ist Cannabidiol (CBD) für den medizinischen Einsatz interessant, damit sollen die Symptome von Angststörungen, Depressionen, ADHS, posttraumatischen Belastungsstörungen oder Psychosen gelindert werden. Allerdings ist die Studienlage dazu widersprüchlich.

Forscher der australischen University of New South Wales (UNSW) in Sydney haben nun in einer Metaanalyse die Daten von 83 Studien mit insgesamt 3.000 Probanden ausgewertet. Das Ergebnis: Es gibt keine Evidenz für die Wirksamkeit von Cannabinoiden bei psychischen Erkrankungen. Ihr Einsatz sei der aktuellen Datenlage zufolge nicht gerechtfertigt, schreiben die Wissenschafter im Fachjournal "Lancet Psychiatry".

"Unsere Ergebnisse sind vor allem für jene Länder bedeutsam, in denen Cannabis und Cannabinoide für medizinische Zwecke eingesetzt werden. Wir konnten keine qualitativ hochwertigen Nachweise finden, dass medizinische Cannabinoide einem Placebo überlegen sind", sagt Louisa Degenhardt vom National Drug and Alcohol Research Centre am UNSW. Sie kritisiert außerdem, dass bislang zu wenige Ergebnisse aus randomisierten kontrollierten Studien (RCT) vorliegen, sodass keine klinischen Leitlinien für die Anwendung von Cannabinoiden bei psychischen Erkrankungen erstellt werden können.

Nur sehr schwache Evidenz

Insgesamt berücksichtigten die Forscher Studien aus dem Zeitraum 1980 bis 2018, in denen die Wirksamkeit von Cannabinoiden bei der Behandlung von sechs psychischen Störungen untersucht wurde: Depression, Angststörung, ADHS, Tourette-Syndrom, posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) und Psychose. Von den 83 identifizierten Studien untersuchten 42 den Effekt von Cannabinoiden auf Depressionen (23 RCTs), 31 bezogen sich auf Angstzustände (17 RCTs), acht auf das Tourette-Syndrom (zwei RCTs), drei auf ADHS (eine RCT), zwölf auf PTBS (eine RCT) ) und elf auf Psychosen (sechs RCTs). In den meisten Fällen konzentrierten sich die Studien auf den Effekt von THC, zum Teil in Kombination mit CBD.

Die Autoren räumen zwar ein, dass THC mit oder ohne CBD die Angstsymptome bei Patienten, die zusätzlich von anderen Erkrankungen betroffen waren, verbessern kann, allerdings ist nicht auszuschließen, dass dieser Effekt auf eine generelle Verbesserung des gesundheitlichen Zustands der Probanden zurückzuführen war. Die Metaanalyse zeigte außerdem, dass THC die Symptome einer Psychose verstärken kann. Zudem habe es keinen signifikanten Einfluss auf andere primäre Endpunkte der psychischen Erkrankung.

Kaum hochwertige Studien

"Mediziner und Patienten müssen sich der geringen Evidenz zur Wirksamkeit von medizinischen Cannabinoiden bei der Behandlung von psychischen Störungen und des potenziellen Risikos von unerwünschten Ereignissen bewusst sein", schreiben die Studienautoren. Sie kritisieren, dass der Großteil der Untersuchungen nur eine geringe Stichprobengröße und zum Teil erhebliche methodische Schwächen aufweise. "Es besteht ein dringender Bedarf an randomisierten kontrollierten Studien, um festzustellen, ob Cannabinoide für diese Indikationen vonnutzen sind", resümieren die Wissenschafter.

Der US-Psychiater Deepak Dsouza von der Yale University School of Medicine schreibt in einem Kommentar zur Metaanalyse, dass "der Prozess der Arzneimittelentwicklung in der modernen Medizin darin besteht, die Wirksamkeit und Sicherheit in klinischen Studien zu prüfen, bevor das Arzneimittel klinisch angewendet wird. Bei Cannabinoiden scheint das umgekehrt zu sein, hier steht der klinische Einsatz vor dem Beweis. Cannabinoide, die zur Behandlung von psychiatrischen Erkrankungen eingesetzt werden, sollten in RCTs getestet und demselben behördlichen Zulassungsverfahren wie andere verschreibungspflichtige Medikamente unterzogen werden." (red, 30.10.2019)