(10) Hygiea wurde 1849 von Annibale De Gasparis entdeckt. Das Objekt scheint alle Kriterien eines Zwergplaneten zu erfüllen.
Illustration: ESO/P. Vernazza et al./MISTRAL algorithm/ONERA/CNRS

Im Sommer 2006 traf die Internationale Astronomische Union (IAU) eine Entscheidung, die manche Menschen bis heute schwer verkraften können. Diese weltweite Vereinigung von Astronomen ist unter anderem für die Definition von Himmelskörpern zuständig – und führte 2006 eine neue Klasse ein: die Zwergplaneten.

Die bekannteste Folge davon war, dass Pluto seinen Status als Planet verlor und fortan eben als Zwergplanet gilt. Dafür gibt es gute Gründe, allen voran: Der kleine Pluto hat die Umgebung seiner Umlaufbahn, die eher der eines Asteroiden ähnelt, nicht von kosmischem Material freigeräumt. Damit erfüllt er die Kriterien eines Planeten ebenso wenig wie zahlreiche andere Brocken, die im Asteroiden- oder Kuipergürtel unterwegs sind.

Jim Bridenstine, der Chef der US-Weltraumbehörde Nasa, will das nicht akzeptieren, auch wenn sich die Fachwelt mehrheitlich einig ist. "Ich glaube, dass Pluto ein Planet ist, und ich werde auch weiterhin allen sagen, dass Pluto ein Planet ist", sagte Bridenstine vergangene Woche in Washington. Seine wiederholte Weigerung, Pluto als Zwergplaneten anzuerkennen, hat freilich keinerlei Wirkung.

Inzwischen kennt man hunderte Objekte im Sonnensystem, die sich sicher oder wahrscheinlich als Zwergplaneten qualifizieren. Jetzt hat ein Forscherteam das vermutlich kleinste Objekt dieser Art im Sonnensystem identifiziert: (10) Hygiea im Asteroidengürtel scheint alle Voraussetzungen für eine Neueinstufung zu erfüllen.

Runder Zwerg

Bekannt ist Hygiea schon seit 1849, nach Ceres, Vesta und Pallas ist sie das viertgrößte Objekt im Asteroidengürtel. Nun aber gelang es erstmals, Hygiea mit einer so hohen Auflösung zu beobachten, dass ihre Oberfläche analysiert und ihre Form und Größe bestimmt werden konnten. Die Wissenschafter um Pierre Vernazza vom Laboratoire d'Astrophysique de Marseille fanden heraus, dass Hygiea annähernd kugelförmig ist und daher Ceres den Titel des kleinsten Zwergplaneten im Sonnensystem entreißt. Die Beobachtungen gelangen mithilfe des Sphere-Instruments am Very Large Telescope der Europäischen Südsternwarte in Chile.

Größenvergleich von Hygiea, Vesta und Ceres. Vesta erfüllt die Kriterien eines Zwergplaneten nicht.
Illustration: ESO/P. Vernazza et al., L. Jorda et al./MISTRAL algorithm/ONERA/CNRS)

Als Objekt im Asteroiden-Hauptgürtel erfüllte Hygiea schon nach bisherigem Wissensstand drei der vier Voraussetzungen, um als Zwergplanet eingestuft zu werden: Sie umkreist die Sonne, ist kein Mond und hat im Gegensatz zu einem Planeten den Bereich um ihre Umlaufbahn nicht freigeräumt. Die letzte Anforderung war, dass sie genügend Masse haben muss, um durch ihre eigene Schwerkraft in eine Kugelform gebracht zu werden. Und genau das ist der Fall, wie die Beobachtungen nun zeigen. "Dank dieser Bilder kann Hygiea als Zwergplanet reklassifiziert werden – der bisher kleinste im Sonnensystem."

Fehlende Krater

Den Forschern gelang es auch, den Durchmesser von Hygiea einzugrenzen. Er liegt etwas über 430 Kilometer. Zum Vergleich: Pluto hat einen Durchmesser von rund 2400 Kilometern, Ceres kommt auf 950. Überraschenderweise zeigten die Beobachtungen auch, dass es Hygiea an großen Einschlagkratern mangelt, die auf ihrer Oberfläche eigentlich zu erwarten gewesen wären, schreiben die Wissenschafter im Fachblatt "Nature Astronomy".

Simulation der Entstehung von Hygiea.
European Southern Observatory (ESO)

"Das war eine echte Überraschung, wir haben damit gerechnet, ein großes Einschlagsbecken vorzufinden, wie es bei Vesta der Fall ist", sagte Vernazza. Obwohl die Astronomen bereits 95 Prozent der Oberfläche von Hygiea untersucht haben, konnten sie nur zwei eindeutige Krater identifizieren.

Hygiea ist der größte Vertreter einer Asteroidengruppe mit fast 7.000 Mitgliedern, die alle aus demselben Ursprungskörper entstanden sind. Die Astronomen waren davon ausgegangen, dass das gewaltige Ereignis, das diese Gruppe hervorbrachte, auf Hygiea seine Spuren hinterlassen habe. Die beiden entdeckten Krater sind dafür aber zu klein.

In Simulationen kamen die Forscher zum Schluss, dass Hygiea und ihre Asteroidengeschwister bei einem Frontalzusammenstoß vor etwa zwei Milliarden Jahren entstanden sein müssen. Der Mutterkörper dürfte dabei völlig zerstört und in tausende Brocken zerbrochen sein. (dare, 29.10.2019)