Der Sieg der rechtsnationalistischen Alternative für Deutschland (AfD) bei der Landtagswahl in Thüringen setzt ihre Erfolgsserie in Sachsen und Brandenburg fort.

Die Bestätigung der postkommunistischen Linken, zum ersten Mal als stärkste Kraft in einem deutschen Bundesland, darf über den dramatischen Niedergang der im Bund regierenden Koalitionsparteien nicht hinwegtäuschen. Mit der Verdoppelung ihres Stimmenanteils auf 23,6 Prozent ist die AfD wieder einmal der eigentliche Sieger.

Die Bedeutung des Vormarschs dieser bedenklichen Gruppierung geht weit über die Grenzen Thüringens hinaus. Der Spitzenkandidat der Partei war nämlich jener Björn Höcke, der als Anführer des extrem rechten Flügels selbst innerhalb der am rechten Rand des politischen Spektrums angesiedelten Partei gilt. Seine politischen Erklärungen haben wiederholt Empörung nicht nur in Deutschland, sondern auch international ausgelöst. So hatte Höcke das Holocaust-Mahnmal in Berlin als "Denkmal der Schande" bezeichnet und eine erinnerungspolitische Wende um 180 Grad in Bezug auf die NS-Zeit gefordert.

Nun feierte er seinen Sieg lautstark als eine "Wende" in Thüringen und rechnet mit guten Chancen im Kampf in der Bundespartei um noch mehr Einfluss für sich und den rechtsradikalen völkischen Flügel. "Björn Höcke agiert, schreibt und redet faschistoid", sagt der Soziologe Matthias Quent.

Zerstörer der liberalen Demokratie

Der Aufstieg der AfD und besonders ihres rechtsradikalen Flügels weckt nicht zufällig vor allem in der jüdischen Gemeinde Unbehagen. Max Prirovozki, der Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde Halle, sagte nach dem Anschlag auf seine Synagoge und nach dem versuchten Massenmord am heiligsten jüdischen Feiertag, dass zwar Höcke persönlich nichts mit den Angriffen zu tun habe, dass jedoch der Ton der "Hassideologie", den Höcke setze, eine Zutat sei für Taten wie die, die er miterleben musste.

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Björn Höcke, Spitzenkandidat der AfD in Thüringen.
Foto: REUTERS/Annegret Hilse

In Deutschland leben bloß etwa 200.000 Juden, 0,2 Prozent der Bevölkerung. Trotzdem ist der Antisemitismus auf dem Vormarsch. Die offiziellen Zahlen zeigen ein alarmierendes Ansteigen der antisemitischen Straftaten um 20 Prozent auf 1.799 im Vorjahr. Ronald S. Lauder, der Vorsitzende des Jüdischen Weltkongresses, zitierte in einem FAZ-Artikel das erschütternde Ergebnis einer umfassenden Studie: 27 Prozent aller Deutschen und 18 der deutschen Eliten sind antisemitisch.

Wenige Wochen nach "Halle" hat fast ein Viertel der Wähler für den rechtsradikalsten Landesverband der AfD gestimmt. Die Zerstörer der liberalen Demokratie sind unterwegs. War die Hoffnung eines jüdischen Lebens in Deutschland nach dem Holocaust, der Aufbau einer neuen Existenz durch die Überlebenden und ihre Familien eine Selbsttäuschung? Die Juden in Deutschland leben in einer Atmosphäre der wachsenden physischen Bedrohung. Alle demokratischen Politiker und Medien verdammen den Antisemitismus. Trotz demokratischer Aufklärung wirkt das Internet als Brandbeschleuniger für eine nahezu grenzenlose Verbreitung des Judenhasses in einem beispiellosen Ausmaß, sagen die Antisemitismusforscher von der Technischen Universität Berlin. Eher düstere Aussichten also. (Paul Lendvai, 29.10.2019)