Charles Spencer Chaplin spielte nicht nur in "The Great Dictator", sondern auch in einem Strafprozess in Wien eine Rolle.

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Wien – Auf dem Papier der Anklageschrift klingt der Vorwurf gegen Kurt H. nicht unplausibel. Der 53-Jährige soll im August 2018 in einem Lokal lautstark den Holocaust geleugnet, nationalsozialistische Parolen gegrölt und die Kellnerin antisemitisch beschimpft haben. Das Pikante daran: Wie der Unbescholtene selbst bei der Polizei eingestand, hat er sich vor 30 Jahren im Umfeld der neonazistischen Vapo rund um Gottfried K. bewegt. Darüber hinaus war er von einer Burschenschaft ausgeschlossen worden, und bei einer Hausdurchsuchung fanden die Ermittler Bilder von H. in SS-Uniform und mit Stahlhelm.

Auch seine Verantwortung vor dem Geschworenengericht unter Vorsitz von Christoph Bauer klingt mäßig glaubwürdig. Er erzählt die Geschichte so: Am Abend des 25. August habe ihm eine Zufallsbekanntschaft ein Babyfoto in Schwarz-Weiß gezeigt und gefragt, ob er erraten könne, wer abgebildet sei. "Ich bin auf Charlie Chaplin gekommen, da hat der andere gesagt: 'Fast.' Dazu muss man Filmgeschichte kennen, Charlie Chaplin hat in 'The Great Dictator' ...", beginnt der Angeklagte, wird aber von Bauer unterbrochen. Der weiß aus dem Akt bereits, dass es sich um ein Babyfoto von Adolf Hitler gehandelt hat.

"Dumme Fotos" von Hitler und Soldaten

Es seien "dumme Fotos" gewesen, sagt der Angeklagte, darunter auch solche des NS-Diktators in kurzer Lederhose – aber auch solche von Soldaten. H. will die Bilder jedenfalls geschenkt bekommen haben, da er sie "lustig" fand. Beim anschließenden Besuch des Lokals, in dem Anzeigerin Sandra G. arbeitete, sei er "sehr betrunken" gewesen und habe das Kuvert mit den Fotos offenbar verloren.

Sein Besuch an diesem Abend endete nicht friktionsfrei – G. rief die Polizei, da der Angeklagte seine Zigaretten nicht bezahlt hatte. H. kann sich das gar nicht vorstellen: "Wenn ich betrunken bin, gebe ich meistens zu viel Geld."

Laut Polizeiprotokoll übergab ihm ein Polizist noch das verschlossene Kuvert. Am nächsten Tag vermisste H. es aber. H. kam am 26. August zurück in das Lokal: "Ich habe mir gedacht, sie hat sich den Umschlag eingenaht." Es entstand ein Streit, der Angeklagte sagt, er habe sich nur passiv verhalten, Frau G. sei dagegen entweder selbst betrunken oder psychotisch gewesen, habe ihn als Nazi beschimpft, "Hitler" geschrien und ihn tätlich angegriffen.

Hakenkreuz in EU-Flagge

Die Berufsrichter interessieren sich aber auch für die digitalen Bilder, die in H.s Wohnung gefunden wurden. Zu einem Hakenkreuz sagt der Angeklagte: "Das kommt aus dem Buddhismus." – "Sind Sie Buddhist?", fragt Bauer nach. "Es kommt mir am nächsten." – "Und was hat der Buddhismus mit der EU zu tun?", wundert sich der Vorsitzende, schließlich zeigt das Foto die Swastika mitten in der EU-Flagge.

Zu dem Foto von sich in einer SS-Uniform sagt H. zunächst, es sei eine Uniform der Nationalen Volksarmee der Deutschen Demokratischen Republik. "Nein, da ist ein Totenkopf drauf", korrigiert ihn Beisitzer Ulrich Nachtlberger. Der Angeklagte erzählt darauf, es sei eine Theateruniform, die er bei einem Freund probiert habe.

Ordnungsstrafe für die Zeuginnen

Es folgt eine eineinhalbstündige Unterbrechung: Belastungszeugin G. und ihre damals ebenfalls im Lokal anwesende Tochter sind nicht erschienen. Bauer lässt die Zeuginnen von der Polizei vorführen und verhängt über jede 250 Euro Ordnungsstrafe. Sie habe den Termin vergessen, entschuldigt Sandra G. sich.

Die Aussage der 43-Jährigen stimmt Verteidiger Adrian Hollaender dann wohl fröhlich. Denn obgleich schon die Erläuterung seines Mandanten dubios gewesen sind – die Darstellung, die Frau G. bietet, ist teils absurd. Sie widerspricht nicht nur ihrer ursprünglichen Aussage bei der Polizei, sondern sie ändert auf Nachfragen und Vorhalte von Bauer auch ihre nunmehrige Geschichte mehrmals.

So beteuert sie beispielsweise, H. habe ihr die Fotos gezeigt, und von einem Kuvert wisse sie nichts, muss dann aber doch zugeben, dass sie das Kuvert auf dem Lokalboden gefunden und hineingeschaut habe. Zunächst erzählt sie, sie habe die losen Bilder am 25. August selbst zur Polizeiinspektion gebracht. Erst nachdem Bauer aus dem Polizeiprotokoll zitiert, wonach sie der alarmierten Streifenwagenbesatzung das verschlossene Kuvert gegeben habe, ändert sie ihre Aussage.

Extrem widersprüchliche Aussage

Einmal sagt sie, der Angeklagte habe schon beim Betreten des Lokals "Heil Hitler" gebrüllt, dann wieder, er sei erst ausfällig geworden, nachdem er nichts zu trinken bekam. Besonders gravierend: Vor Gericht behauptet sie, H. habe geschrien, es seien zu wenig Juden vergast worden, in ihrer ursprünglichen Anzeige dagegen, er habe die Existenz von Vernichtungslagern abgestritten.

"Das ist ein Widerspruch", merkt der Vorsitzende an, woraufhin die Zeugin unvermittelt in Tränen ausbricht. "Ich weiß es nicht mehr genau. So was passiert mir immer wieder, ich bin erst vor ein paar Tagen als 'Saujud' beschimpft worden", schluchzt sie. Ihre Tochter sagt als Zeugin aus, H. habe zunächst etwas getrunken, nach rund 20 Minuten sei ein Streit ausgebrochen – was allen anderen Schilderungen eklatant widerspricht. Sie habe nur "Hitler" und "Saujuden" gehört, berichtet der Teenager noch.

Die Laienrichter beraten gut zwei Stunden, ziehen schließlich die Darstellungen von Frau G. doch in Zweifel und sprechen den Angeklagten mit fünf zu drei Stimmen frei. Auch die Staatsanwältin erhebt keinen Einspruch, das Urteil ist rechtskräftig. (Michael Möseneder, 28.10.2019)