Ingrid Raab: "Die Wienerin schätzt gebrauchte Mode nicht"

STANDARD: Das spektakulärste Stück, das Ihnen in den vergangenen Jahrzehnten untergekommen ist?

Ingrid Raab: Ein Metallplättchen-Oberteil von Paco Rabanne aus den frühen 1970er-Jahren. So ein ähnliches Stück wurde vor einigen Jahren bei Sotheby's in London um 25.000 Pfund versteigert. Meines ist derzeit unverkäuflich und zur Besichtigung ausgestellt.

Vintage-Pionierin Ingrid Raab, "über 60", trägt eine melonengelbe Jacke aus den 1940er-Jahren über einem schwarzen Vintage-Kleid. Ihr Ring ist aus den 1940er-Jahren, die auffällige Kette ein Stück aus den 1920ern.
Foto: Yannick Schuette

STANDARD: Sie verkaufen sehr spezielle, historische Vintage-Stücke. Wie kommen Sie an die Ware?

Raab: Ich beziehe nur aus privater Hand, kenne von jedem Stück die Besitzerin. Nachdem es mein Geschäft seit 40 Jahren gibt, hat sich herumgesprochen, dass ich schöne Dinge schätze.

STANDARD: 1978 haben Sie Ihren Shop eröffnet. Gab es damals in Wien Verständnis für Vintage-Mode?

Raab: Meine ersten Kunden waren damals die Schülerinnen des Reinhardt-Seminars. Die jungen Künstlerinnen wollten ihre Individualität betonen. Den Begriff Vintage gab es damals noch nicht. Um mich von Secondhand zu unterscheiden, habe ich mein Geschäft mit "Nostalgische Mode" überschrieben. Mittlerweile ist das Publikum breiter. Bis heute aber schätzt die Wienerin gebrauchte Mode nicht so sehr. Im übrigen Europa ist das anders, in Amerika ist Vintage überhaupt der Renner!

STANDARD: Welche Designer und Marken überzeugen noch Jahrzehnte später?

Raab: Marken wie Dior, Chanel, Pucci, Paco Rabanne, André Courrèges, Yves Saint Laurent oder Helmut Lang waren stets von hoher Qualität. Die musste man auch zahlen. Heute lassen die großen Designer aus Kostengründen genauso wie die Kaufhausketten in China und Indien produzieren.

STANDARD: Was macht Vintage-Mode interessant?

Raab: Sie überzeugt durch echte Schneiderqualität und hervorragende Stoffe. Was jetzt so gern als Nachhaltigkeit beworben wird, war bei Vintage-Ware Normalität: Man hat sich Kleidung nicht angeschafft, um sie nach einiger Zeit wieder wegzuwerfen, sondern weil man sie länger behalten wollte.

STANDARD: Worauf sollte man beim Vintage-Kauf achten?

Raab: Man sollte billige Reproduktionen meiden. Echte Stücke erkennt man an der Stoffqualität, an den raffinierten Schnitten, vieles war noch handgenäht. Leider werden die Begriffe Secondhand und Vintage gern in einen Topf geworfen. Das ist, als ob man Altwaren mit Antiquitäten gleichsetzte. (Anne Feldkamp, RONDO, 31.10.2019)

Ingrid Raab eröffnete 1978 ihr erstes Geschäft in der Penzinger Straße, seit 1981 bietet "Flo Vintage – Nostalgische Mode" in der Schleifmühlgasse 15a, 1040 Wien, Mode von 1880 bis 1980 an.

www.flovintage.com



Pola Fendel und Moritz Baier: "Secondhand ist bei den Kids angekommen"

STANDARD: Was macht den Reiz von getragener Mode aus?

Moritz Baier / Pola Fendel: In Zeiten von Fast Fashion, in denen wir mit Massenware geflutet werden und alle das Gleiche tragen, wächst das Begehren nach Einzelstücken. Oft findet man im Secondhandladen auch das Original, das die Modefirmen kopieren – so wie bei den gerade angesagten Teilen aus den 1990ern.

Pola Fendel, 30, von "Burggasse 24" trägt ein Vintage-Kostüm, Moritz Baier, 38, einen Anzug von Vivienne Westwood.
Foto: Yannik Schuette

STANDARD: Spüren Sie bei den Kunden ein neues Bewusstsein beim Kleiderkauf?

Baier / Fendel: Klar, Nachhaltigkeit wird zunehmend auch im Mainstream Thema. Diese Veränderung spielt uns offensichtlich in die Hände: Bewahren statt neu produzieren ist so ziemlich das Nachhaltigste, was in Sachen Konsum geht. Es kommen auch mehr und mehr Teenagekäufer zu uns, das Thema Secondhand/Vintage ist mittlerweile beim klassischen MaHü-Kid angekommen.

STANDARD: Worauf sollte man beim Kauf von Secondhandware achten?

Baier / Fendel: Darauf, dass es einem gefällt! Der eine kauft vielleicht nur Designerstücke, die wie neu aussehen, ein anderer freut sich riesig über das löchrige, verwaschene Oversize-Uralt-Bandshirt. Bei Designerteilen gibt's aber schon einiges zu beachten. Die kauft man idealerweise in einem Shop, der die Teile checkt und keine Fakes ins Sortiment nimmt.

STANDARD: Mittlerweile wird Vintage auch online verkauft. Was haben Sie den Angeboten im Netz voraus?

Baier / Fendel: Beratung gibt es in Vintage-Shops fast immer, und die ist garantiert persönlicher, als ein Algorithmus es jemals sein kann. Bei uns gibt's im Inhouse-Café noch eine heiße Schokolade dazu.

STANDARD: Welche internationalen Secondhand- und Vintage-Shops können Sie empfehlen?

Moritz Baier: Atika in London hat eine Megaauswahl, eine coole eigene Kollektion und führt Spendenaktionen durch. Der Webshop Vestiaire Collective hat für uns die bestkuratierte Auswahl weltweit.

Pola Fendel: Ich mag Leihkonzepte wie RE-NT Revolution, die Vintage-(Designer-)Stücke vermieten und auch verkaufen. Oder die Kleiderei – die habe ich übrigens mit aufgebaut.

Moritz Baier, Pola Fendel und Marco Pauer führen den 2013 gegründeten Secondhandshop "Burggasse 24" in der Burggasse 24, 1070 Wien mit angeschlossenem Café. www.instagram.com/burggasse24



Wolfgang Lindenhofer und Michael Pascher: "Viele unter 25 wollen nichts Neues kaufen"

STANDARD: Der erste Secondhand-Laden, den Sie betreten haben?

Wolfgang Lindenhofer: Der Dachboden meiner Tante.
Michael Pascher: Ein gemeinnütziger Laden in Innsbruck in den 1990er-Jahren.

STANDARD: Heute spielt der Zeitgeist dem Thema Secondhand in die Hände. Spüren Sie das im Gespräch mit Kunden?

Lindenhofer / Pascher: Absolut – gerade junge Leute unter 25 wollen ausschließlich Vintage und explizit nichts Neues kaufen. Viele kommen auf der Suche nach etwas Besonderem in unseren Laden.

Wolfgang Lindenhofer (45, vorn) hat sich in einen Anzug von Petar Petrov und in einen Rolli des Stylisten geworfen, im roten Rolli dahinter: Michael Pascher (40).
Foto: Yannik Schuette

STANDARD: Was macht Vintage-Mode zu einer spannenden Alternative?

Lindenhofer / Pascher: Sie ist individuell, authentisch und unberechenbar, der Einkauf vergleichbar mit der Jagd nach dem Lieblingsstück, das man schon immer gesucht hat und von dem man nie wusste, wie gut es einem steht.

STANDARD: Was dürfen Vintage-Stücke kosten?

Lindenhofer / Pascher: Das ist abhängig von ihrer Einzigartigkeit. Wir haben besondere Stücke von Yves Saint Laurent aus den 1970er-Jahren im Laden – die haben ihren Preis. Gleichzeitig bieten wir Sachen ab neun Euro an. Im Vergleich zu anderen Städten ist Vintage in Wien allerdings noch richtig billig.

STANDARD: Woher beziehen Sie Ihre Stücke?

Lindenhofer / Pascher: Die coolsten Stücke flattern meist einfach bei der Tür herein. Unglaublich, wie viele hochwertige Stücke sich über die Jahre bei manchen Menschen angesammelt haben!

STANDARD: Was sollte man beim Kauf von Vintage-Ware beachten?

Lindenhofer / Pascher: Sie sollte in einem guten Zustand sein. Wir legen großen Wert auf Sauberkeit, auch weil wir früher selbst oft einen Bogen um ungepflegte Vintage-Läden gemacht haben.

STANDARD: Was geht bei Ihnen weg wie warme Semmeln?

Lindenhofer / Pascher: Seide verkauft sich immer gut, weite Hosen aus den 1970ern und T-Shirts von Gabber Eleganza aus Italien.

Wolfgang Lindenhofer und Michael Pascher haben den Shop Wolfmich Anfang 2019 in der Gumpendorfer Straße 51, 1060 Wien, eröffnet.

www.instagram.com/wolfmich_official



Tanya Bednar: "Ältere Kunden prüfen die Qualität von Stoffen"

STANDARD: Was unterscheidet eigentlich Vintage- von Secondhandware?

Tanya Bednar: Vintage ist hochwertiger als Secondhandware. Wir führen bei uns sogenanntes New Vintage und haben uns auf Sammlerstücke aus den letzten zwanzig Jahren spezialisiert. Mit dem Berliner Store wurden wir gerade von der Vogue unter die Top Ten weltweit gewählt, im deutschsprachigen Raum sind wir die Nummer eins.

Shopbesitzerin Tanya Bednar, 44, trägt eine Bluse und eine Hose von Chanel, Blazer und Gürtel sind von Helmut Lang, das Tuch ist von Loewe.
Foto: Yannik Schuette

STANDARD: War früher alles besser, oder haben Modelabels früher hochwertiger gefertigt?

Bednar: Unsere älteren Kunden sagen: Ja. Die prüfen oft erstmal die Verarbeitung und den Stoff auf ihre Qualität und lassen sich weniger von Markennamen beeindrucken. Daran erkenne ich schon, dass früher die Qualität um einiges besser war. Meine Oma war Schneiderin, ich habe ihr oft zugehört. Wie sie über Schnitte und Stoffe geredet hat, hat mich sehr beeindruckt.

STANDARD: Woher beziehen Sie Ihre Ware?

Bednar: Vieles ist aus Berlin, von Stylisten, aber auch direkt von Designern.

STANDARD: Welche Marken haben bei Ihnen die größten Vintage-Fans?

Bednar: Ich würde sagen: Margiela, Ann Demeulemester, Yamamoto und Comme des Garçons.

STANDARD: Ihr erstes Vintage-Mode-Stück – und die Geschichte dahinter?

Bednar: Daran kann ich mich gar nicht mehr so richtig erinnern, ich sammle ja berufsbedingt so viele Teile. Aber eine sehr alte Kroko-Tasche von Bally begleitet mich schon sehr lange. Die benutze ich kaum, weil sie für mich so wertvoll ist.

STANDARD: Muss man sich Designer-Vintage leisten können? Was darf ein Stück kosten?

Bednar: Bei uns gibt es alles zwischen 29 und 900 Euro, leistbar ist Vintage also auf jeden Fall. Und feilschen kann man auch.

STANDARD: Woher kommt Ihre Leidenschaft für Vintage-Mode?

Bednar: Mein Vater ist Antiquitätenhändler, meine Mutter war Modevertreterin, ich habe beides miteinander verbunden.

Tanya Bednar hat den Vintage-Shop "Das Neue Schwarz" vor viereinhalb Jahren in der Landskrongasse 1, 1010 Wien aufgesperrt. Bereits seit zehn Jahren führt sie eine Filiale in Berlin.
www.dasneueschwarz.de

(Anne Feldkamp, RONDO, 31.10.2019)