Boris Johnson ist erneut am Unterhaus in London gescheitert.

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Trotz der dritten Verlängerung der EU-Austrittsperiode bis Ende Januar ist zu Wochenbeginn eine Lösung des Brexit-Dilemmas nähergerückt. Zwar verweigerte das Unterhaus am Montagabend dem Premierminister die Zustimmung zu dessen Plan, vor einer Neuwahl im Dezember das mit Brüssel ausgehandelte Austrittspaket zu verabschieden. Doch sicherten sich Boris Johnsons konservative Minderheitsregierung und zwei Oppositionsparteien gegenseitig Unterstützung zu für ein neues Wahlgesetz. Es soll noch diese Woche vom Parlament verabschiedet werden.

Die 27 EU-Partner einigten sich am Montagvormittag auf eine flexible Verlängerung der britischen Mitgliedschaft. Demnach kann Großbritannien bis 31. Januar im Brüsseler Club bleiben, je nach Fortgang der Ratifizierung des Austrittsvertrags aber auch schon früher austreten ("Flextension"), teilte EU-Ratspräsident Donald Tusk mit. Als Gegenleistung muss London nicht nur weiterhin in die Gemeinschaftskasse einzahlen, sondern auch übergangsweise einen EU-Kommissar benennen.

In London schlug die Opposition dem Regierungschef seine gebetsmühlenartig wiederholten Versprechen um die Ohren, wonach er "lieber tot im Graben liegen" wolle als das Brexit-Drama erneut zu verlängern. Umgekehrt lobte Johnson seinen "großartigen neuen Deal" und machte das Parlament für die Verzögerung verantwortlich. In knapp drei Jahren habe das Unterhaus keiner Lösung den Weg ebnen wollen. "Wir müssen neu wählen, damit wir endlich vorankommen."

Erneute Abstimmung wohl am Dienstag

Bei der Abstimmung am Abend ging es um den Plan der Regierung, am 12. Dezember zu den Urnen zu rufen. Dies würde dem Parlament die Gelegenheit dazu geben, zuvor noch dem Austrittsvertrag zuzustimmen. Da eine Zweidrittelmehrheit erforderlich war, reichten 299 Ja-Stimmen von insgesamt 650 nicht aus. Hingegen könnte ein neues Gesetz mit einem neuen Wahltermin ohne Ratifizierung mittels einfacher Mehrheit verabschiedet werden.

Anders als die ebenfalls vorgezogene Wahl vom Juni 2017 dürfte der Urnengang im Advent monothematisch dem Brexit gewidmet sein. Realistischerweise haben im britischen Mehrheitswahlrecht nur die beiden großen Parteien Torys und Labour eine Chance auf die Mehrheit der Mandate im nächsten Unterhaus.

Tory-Boss Johnson will für das Paket aus Austrittsvertrag und politischer Erklärung werben, die Brexit-Party plädiert für einen chaotischen Austritt ("No Deal"). Labour gibt sich unentschlossen: Oppositionsführer Jeremy Corbyn will eine neue, nähere Zusammenarbeit mit der EU vereinbaren, diesen neu verhandelten Deal dann aber in einem zweiten Referendum zur Wahl stellen, in dem große Teile seines Führungsteams für den Verbleib Großbritanniens im Brüsseler Club werben wollen. In den Umfragen liegen die Torys durchschnittlich um zehn Prozent vor Labour; Corbyns Unpopularität stellt alle Oppositionsführer der vergangenen Jahrzehnte in den Schatten.

Antrag für Wahltermin am 9. Dezember

Die wahrscheinlich gewordene Wahl am 9. Dezember geht auf eine Initiative der Liberaldemokraten unter Jo Swinson sowie der schottischen Nationalpartei SNP zurück. Beide gehen mit dem Slogan "Nein zum Brexit" in die Wahl. Swinson will sogar, für den gänzlich unwahrscheinlichen Fall einer eigenen Mehrheit, den Austrittsantrag zurückziehen. Zuvor hatten die Parteien hartnäckig für eine neuerliche Volksabstimmung geworben. Ihr Kurswechsel geht darauf zurück, dass es für das zweite Referendum im jetzigen Unterhaus keine Mehrheit gibt.

Dass die Hoffnungen auf den zweiten Urnengang und damit auf den Verbleib der Insel in der EU schwinden, hat in der Dachorganisation "People’s Vote" heftigen Streit ausgelöst. Einer der Hauptgeldgeber, der Geschäftsmann Roland Rudd, erklärte am Wochenende zwei wichtige Funktionäre für entlassen, was am Montag eine interne Debatte auslöste. Inhaltlich geht es um die Frage, ob die Kampagne klar sagen solle, was ohnehin jeder weiß: dass ein neuerliches Referendum die Entscheidung vom Juni 2016 rückgängig machen soll.

Umstritten ist auch die Zielgruppe: Eine Gruppe setzt ausschließlich auf die Mobilisierung EU-freundlicher Wähler, die sich 2016 nicht zur Urne bequemten oder das Wahlalter von 18 noch nicht erreicht hatten. Andere wollen ausdrücklich auf kompromisswillige Anhänger der Leave-Bewegung zugehen. (Sebastian Borger aus London, 28.10.2910)