Während der Balz schmiegen sich Tauben gern eng an ihren Partner. Der Begriff Turteln ist aber von ihrem charakteristischen Ruf abgeleitet.
Foto: Birdlife / Ralf Thierfelder / Nabu

Der Vogel des Jahres 2020 ist ausgerechnet eine Taube. Allerdings nicht die bekannte und großteils unbeliebte Stadttaube, sondern die Turteltaube, die nicht nur kleiner und zarter ist, sondern im Unterschied zu ihren massenhaft auftretenden Verwandten auch stark gefährdet.

Die Turteltaube hat ihren deutschen Namen von ihrem charakteristischen Ruf, der sich in etwa wie "turr turr" anhört. Dieses Geräusch hat ihr auch ihre wissenschaftliche Artbezeichnung eingetragen: Streptopelia turtur. Dass Verliebte ebenfalls gern als Turteltauben tituliert werden, dürfte wohl am Verhalten der Vögel liegen: "Tauben sitzen während der Balz gern nahe mit ihrem Partner zusammen und schnäbeln miteinander", erklärt der Ornithologe Michael Dvorak von der Vogelschutzorganisation Birdlife. "Das sieht für uns Menschen dann verliebt aus."

Noch Mitte des vorigen Jahrhunderts gab es Turteltauben an jeder Ecke, aber mit der Intensivierung der Landwirtschaft haben sie zunehmend an Boden – genauer gesagt: an Lebensraum – verloren. Die meisten Exemplare gibt es noch in Spanien, Frankreich, Italien und Rumänien, doch generell weist ihre Bestandskurve seit den 1970ern steil nach unten: Allein in Deutschland hat sich die Anzahl der Brutpaare in den letzten zehn Jahren halbiert und liegt jetzt zwischen 12.500 und 22.000 Paaren. In Österreich brüten derzeit rund 10.000 Paare – auch das sind mehr als die Hälfte weniger als noch vor zwanzig Jahren. Die Ursache des dramatischen Rückgangs ist zweifacher Natur, wobei der eine Grund im Brutgebiet liegt, der andere in ihrer Winterheimat bzw. dem Weg dorthin.

Raps statt Wildkräuter

Ursprünglich bewohnte die Turteltaube vorwiegend Auwälder, Waldränder und Lichtungen; heute findet man sie am ehesten auf alten Holzschlagflächen und in der offenen Kulturlandschaft. Allerdings braucht sie in Letzterer kleine Wäldchen und Hecken zum Verstecken und Nisten – Strukturen, die in zunehmend ausgeräumten Landschaften immer seltener werden. Außerdem braucht sie ausreichend Sämereien als Nahrung, und zwar vor allem Samen diverser Wildkräuter, die in der Landwirtschaft als unerwünscht gelten und entsprechend bekämpft werden.

In der Folge hat die Turteltaube ihr Nahrungsspektrum seit den 1960er-Jahren verändert: Sie frisst seither vermehrt landwirtschaftliche Sämereien wie Sonnenblumenkerne oder die Samen von Raps und Weizen. Während diese ursprünglich nur rund 20 Prozent ihrer Nahrung ausmachten, stellen sie heute vielerorts mehr als die Hälfte, können aber die wilden Pflanzen nicht ersetzen.

Die für die Turteltaube so wichtigen Wildkräuter wachsen auf Brachen, an Ackersäumen und in Feldgehölzen, die jedoch immer mehr landwirtschaftlicher Nutzung weichen müssen. Die kleine Taube ist dabei nur eine der zahlreichen Arten, die durch diese Entwicklung bedroht sind.

Zur traurigen Lage im Brutgebiet kommt, dass die Turteltaube den Winter in Afrika, südlich der Sahara, verbringt. Für den weiten Weg dorthin ist sie prinzipiell gut gerüstet: Sie kann ohne Unterbrechung bis zu 700 Kilometer fliegen, und das mit bis zu 60 Stundenkilometern. Unter den mitteleuropäischen Taubenarten ist sie die einzige, die eine so lange Zugstrecke bewältigt.

Zwischen Ende Juli und Anfang Oktober verlassen die Vögel ihre Brutgebiete in Europa. Wie Ringfunde und besenderte Tiere gezeigt haben, gibt es dabei drei Hauptzugrouten: Der größte Teil der deutschen, französischen und britischen Tauben folgt der Westroute über Gibraltar, während Vögel aus Tschechien und Ungarn entweder den zentralen Weg über Italien und Malta wählen oder die Balkanroute über Griechenland. Ab Ende April kehren sie dann wieder in ihre Brutgebiete zurück.

Jagd als nationale Tradition

Auf dem Zug jedoch lauert die zweite große Gefahr für den Bestand der zierlichen Tauben, denn sie sind beliebte Jagdobjekte, und zwar in vielen Fällen ganz legal: In zehn EU-Staaten ist ihre Bejagung aufgrund einer Ausnahmeregelung für nationale Traditionen erlaubt. Traurige Bekanntheit hat diesbezüglich Malta erlangt, wo jedes Frühjahr zehntausende Vögel geschossen werden. Die Jagd, die nahe an der Brutzeit erfolgt, ist seit Jahren ein offener Streitpunkt zwischen der Mittelmeerinsel und der Europäischen Union. In anderen Ländern wie Frankreich und Zypern werden jedoch noch mehr Vögel erlegt.

In Österreich ist die Jagd auf Wildtauben – und damit auch auf die gefährdete Turteltaube – in den Bundesländern Wien, Niederösterreich und Burgenland erlaubt. Die Jagdzeit beginnt dabei zu unterschiedlichen Terminen; am frühesten im Burgenland mit dem 15. August. Dvorak dazu: "Die Jagd auf diese Art sollte sofort eingestellt werden. Sie entspricht auch nicht den Bestimmungen der EU-Vogelschutzrichtlinie." Laut dieser ist die Jagd nämlich nur dann erlaubt, wenn die bejagte Art einen stabilen Bestand aufweist. Die Turteltaube ist mittlerweile weltweit gefährdet.

Birdlife schätzt, dass jedes Jahr mindestens 1,4 Millionen Turteltauben in der EU der legalen Jagd zum Opfer fallen. Zum Vergleich: Der Brutbestand in Europa dürfte bei rund 4,2 Millionen Paaren liegen. (Susanne Strnadl, 4.11.2019)