Als 22-Jähriger wurde Franz Pätzold ans Residenztheater engagiert. Jetzt gehört er dem Burgtheater-Ensemble an.

APA/Herbert Neubauer

Theater im Falle Franz Pätzolds könnte bedeuten: Romantik plus Freiheit minus Champions League. Oder: Zweifel plus Stahlbad samt Schizophrenie und tiefer Stimme. Oder auch: Abhärtung trotz Vergänglichkeit plus Rhythmus und Pudern. Wobei: "Pudern ist in Deutschland eine echt langweilige Veranstaltung", stellt der Schauspieler wissend fest. Der Doppeldeutigkeit des österreichischen Wortgebrauchs ist er sich längst bewusst. Am Schminktisch im Burgtheater lernt man eben schnell.

Franz Pätzold, 1989 in Leipzig geboren, Lehrersohn, Fußballfan, Protagonistenstern am Residenztheater München und nun junger Star am Burgtheater, wo er am Donnerstag in der Wien-Premiere von Don Karlos den Marquis Posa spielt (Regie: Martin Kušej): Sehr viel steiler geht es im deutschsprachigen Theater nicht. Aus der Ruhe zu bringen ist er deswegen aber nicht. "Och" kommt dann, nicht viel mehr. Auch wenn er sich für seinen Beruf derzeit aufreibt, so hält ihn ein privates theaterfernes Umfeld schön auf dem Boden.

Rauchen, trinken, schreien

Franz Pätzold ist einer der spannendsten Schauspieler seiner Generation. Der 30-Jährige hat die Energie eines Alexander Scheer, die Präsenz eines August Diehl, die charakterstarke Stimme eines jungen Klaus Maria Brandauer. Mit seiner Wucht als Sprecher hat er jüngst schon in Ulrich Rasches Bakchen begeistert. Als guruhafter Dionysos, der die Bevölkerung von Theben mit schneidenden Reden einsackt. Ja, mit dieser Stimme, einem schweren, mal väterlichen, mal abgründigen Ton, könnte man so manche Religion gut verkaufen. Bei aller klirrenden Klarheit und Kraft klingt sie dennoch immer unprätentiös und kommt von lauter ungesunden Sachen, wie ihr Inhaber sagt, vom Rauchen, vom Trinken, vom Schreien (beim Fußballschauen), vom Theaterspielen. Und natürlich von den Genen. Franz Pätzold nennt das sächsisch kühl "das Material".

Weil es ein Foto von Pätzold gibt, auf dem er mit blondem Strähnenhaar und einem leicht schiefen Lächeln so lässig dahängt wie James Dean, wird er mit dem Hollywoodstar oft und gern verglichen. Och! Dabei stand der Schauspielerberuf nie auf dem Plan. Kriminalpolizist, Bauer, Lehrer, Fußballer und wahrscheinlich auch Rocksänger, das wär's gewesen, sagt er. Ehrwürdige Interessen, fürwahr, aber sie alle kann man auch auf der Bühne ummünzen. Besonders gut zum Beispiel bei Frank Castorf.

Heftigkeit und Zartheit

In Inszenierungen des Berliner Haudegens hat Pätzold am Residenztheater seine prägenden Lehrjahre absolviert. In Reise ans Ende der Nacht (damit ging es 2014 zum Theatertreffen), in Die Abenteuer des guten Soldaten Svejk im Weltkrieg, mit Baal, mit Don Juan. Das kostet Kraft. "Castorf kommt ja manchmal mit einem Stahlbad um die Ecke", so beschreibt Pätzold die fordernde, den Schauspieler immer schön in "Lebensgefahr" haltende Arbeitsweise des legendären Volksbühne-Regisseurs. "Am Ende der Proben denkt man: Nie mehr wieder mit dem! Und zwei Wochen später: Wenn jemals wieder, dann nur mit ihm! Das versaut dich für jeden anderen Regisseur."

Zum Glück nicht auf ewig, denn sowohl in Arbeiten von Regiekollegen wie Ulrich Rasche, Oliver Frljic oder Anne Lenk hat Pätzold wiederholt reüssiert. Als "Bühnentier" wurde er beschrieben, sein Stimmfeuer gepriesen, vor allem auch die über allem leuchtende, teuflische Kombination von Heftigkeit und Zartheit, die bei Pätzold immer eng beisammen liegen. Er ringt ehrlich um seine Darstellungen, zumindest sieht es immer so aus. Das führt ihn auch in schizophrene Bereiche: "Was mach ich hier, ich bin doch der Franz!?" Die Beschäftigung mit dem Scheitern gehört zum Theater. Auf der Bühne muss man dann die Ängste über Bord werfen. "Ich zahle gerne bar", hat Pätzold einmal gesagt. Auf der Bühne "kann man sich dann nicht mehr leugnen, da rückt man nochmal näher an sich heran, weil man nur mehr sich selber hat".

Zehn Inszenierungen gleichzeitig

In München waren es zu Hochzeiten neun bis zehn Inszenierungen gleichzeitig, die Pätzold "an der Backe" hatte. In Wien nun, wo das Repertoire trotz Wiederaufnahmen erst nach und nach aufgebaut wird, "fühlt sich das alles derzeit noch wie Abhärtung an", sagt er. Entdeckt hat ihn Martin Kušej, der als damaliger Resi-Intendant Pätzold direkt von der Schauspielschule in Leipzig, der Hochschule für Musik und Theater Felix Mendelssohn Bartholdy, nach München engagierte. Genauer gesagt war es Andrea Hauer, Leiterin des Künstlerischen Betriebsbüros, die den Noch-Schauspielstudenten das erste Mal sah und sein Talent erkannte. Seither geht es nur vorwärts. Wie beim Fußball auch, da hilft nur der Blick nach vorn. Als Dynamo-Dresden-Fan stellt Pätzold das mal so dahin.

Sowohl im Fußball als auch im Theater entdeckt Pätzold das zutiefst Romantische. Denn: "Es zählt nur der Moment!" Es geht darum, für die Vergänglichkeit zu arbeiten. Nach dem Spiel ist vor dem Spiel. Als lebenslanger Fußballfan, der Pätzold geworden ist, kann er davon ein Lied singen. Als Schauspieler auch. (Margarete Affenzeller, 30.10.2019)