Vor fast genau 50 Jahren erhielt der deutsche Staatsrechtler Ernst Forsthoff einen für ihn erfreulichen Besuch aus Österreich: Im August 1969 empfing er in seinem Haus in Heidelberg eine Delegation der Uni Wien, angeführt von Günther Winkler. Mit im Gepäck hatte der damalige Dekan der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät eine Urkunde, die Forsthoff zum Ehrendoktor machte. An die "sehr abgewogene, kluge Ansprache" habe sich ein sehr anregender und geselliger Abend angeschlossen, berichtete Forsthoff wenig später stolz seinem engsten Kollegen Carl Schmitt, seines Zeichens einer der umstrittensten Rechtstheoretiker des 20. Jahrhunderts mit tiefen NS-Verstrickungen.

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Der deutsche Staatsrechtler Ernst Forsthoff (hier in den 1960er-Jahren) verfasste 1933 mit "Der totale Staat" eine Rechtfertigung des NS-Herrschaftssystems.
Foto: Picturedesk / Ullstein Bild

Diese Verleihung in ungewöhnlich privatem Rahmen war der vorläufige Endpunkt eines jahrelangen akademischen Ehrungseiertanzes. Die erstaunliche Geschichte dieser umstrittenen Verleihung haben die Historikerinnen Katharina Kniefacz und Linda Erker (beide Uni Wien) kürzlich für den Sammelband "Zuviel der Ehre?"(herausgegeben von Alexander Pinwinkler und Johannes Koll) rekonstruiert, der am Mittwoch in Wien präsentiert wird.

Verhinderte Ehrung 1965

Eigentlich hätte Forsthoff sein Ehrendoktorat bereits im Mai 1965 anlässlich des 600-Jahr-Jubiläums der Uni Wien erhalten sollen. "In der BRD wäre so etwas gewiss unmöglich", schrieb Forsthoff kurz zuvor frohgemut an Schmitt, bei dem Forsthoff 1925 promoviert hatte. Der Grund dafür, dass Ehrungen dieser Art für Forsthoff im Nachbarland tabu waren, lag auf der Hand: Der Jurist, der 1942 an die Uni Wien berufen wurde, hatte 1933 mit dem Buch "Der totale Staat" eine Rechtfertigung des NS-Regimes geliefert, die er 1934 noch einmal nachschärfte. In der zweiten Auflage hieß es etwa: "Darum wurde der Jude ...zum Feind und mußte als solcher unschädlich gemacht werden."

Als Max F. Perutz, der aus einer Wiener jüdischen Familie stammte und 1962 den Chemienobelpreis erhalten hatte, von Forsthoffs bevorstehender Ehrung erfuhr, sandte er postwendend ein Telegramm (siehe Foto) an den Rektor der Uni Wien: Der Biochemiker, der gemeinsam mit Forsthoff und 28 anderen Wissenschaftern das Ehrendoktorat erhalten sollen, zeigte sich "beunruhigt über Bericht, dass früherer Nazi, der für Judenvernichtung eintrat, Ehrendoktorat erhalten soll. Wenn dies nicht befriedigend aufgeklärt wird, muss ich mit großem Bedauern zurücktreten und die Gründe dafür öffentlich bekanntgeben."

Dieses Telegramm von Max F. Perutz trug dazu bei, dass Ernst Forsthoff sein Ehrendoktorat nicht schon im Mai 1965 bekam.
Foto: Archiv der Universität Wien

Eine österreichische Lösung

Was also tun? Während führende Köpfe der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät – besonders lautstark: Günther Winkler – wegen Forsthoffs späterer Distanzierung vom Nationalsozialismus auf die Ehrung beharrten, protestierte die SPÖ im Parlament dagegen. Auch unter dem Eindruck der fast gleichzeitigen Affäre um den Historiker Taras Borodajkewycz kam es zu Verhandlungen auf höchster politischer Ebene, in die sogar Bundeskanzler Josef Klaus eingebunden war.

Schließlich einigte man sich darauf, dass Forsthoff "anlässlich des Universitätsjubiläums kein Ehrendoktorat der Wiener Universität erhalten" werde, so Rektor Karl Fellinger in einer offiziellen Stellungnahme. Das bedeutete freilich nicht, dass Forsthoff auf den Dr. h. c. verzichtete, wie einige Medien voreilig berichteten. Gegenüber Forsthoff plädierte Fellinger nämlich im Hinblick auf das weitere Vorgehen dafür, vorerst nichts zu unternehmen, denn "der Zeitungsleser vergißt von heute auf morgen". Er riet Forsthoff, einfach abzuwarten, bis "nach der 600-Jahrfeier und nach Abklingen der Bundespräsidentenwahl (in etwa 10 Tagen) eine politische Beruhigung eingetreten ist".

Die universitäre Entscheidung über die Verleihung war damit also nur auf die lange Bank geschoben. Doch unmittelbar nach Fellinger wollte sich kein Rektor mit der heiklen Materie abgeben. So dauerte es bis zum Juni 1969, als es heimlich, still und leise zur Beschlussfassung im Akademischen Senat kam. Und um jeden medialen Wirbel zu vermeiden, sollte die Verleihung zwei Monate später nur im privaten Rahmen in Forsthoffs Haus in Heidelberg stattfinden.

Eine österreichische Nachgeschichte

Einen kleinen medialen Wirbel um Forsthoff gab es dann allerdings doch noch, über den Kniefacz und Erker ebenfalls im Detail berichten: Im Jahr 1992 ließ FPÖ-Chef Jörg Haider, der einige Zeit rechtswissenschaftlicher Assistent bei seinem Doktorvater und Trauzeugen Günther Winkler gewesen war, in einem offenen Leserbrief unter anderem verlauten: "Mein Erneuerungsprogramm für Österreich heißt Stärkung des freiheitlichen Rechtsstaates (E. Forsthoff)." Der Kurier veröffentlichte in Reaktion darauf einige der antisemitischen Äußerungen Forsthoffs und warf Haider die Bezugnahme auf einen "üblen Verherrlicher des NS-Unrechtsstaates" vor.

Den abermaligen Konter durfte der damalige FPÖ-Generalsekretär Walter Meischberger setzen, auch wenn der Text wohl von Haider selbst stammte: "Noch dümmer geht's nimmer", hieß es in der damaligen Presseaussendung der FPÖ, die – falsch im Jahr, aber richtig in der Sache – darauf verweisen konnte, dass die Uni Wien dem "NS-Juristen" (Anführungszeichen im Original) 1965 doch das Ehrendoktorat verliehen habe. (Klaus Taschwer, 30.10.2019)