Seeed aus Berlin: "Wenn einer das Money gerechter verteilt, kriegt er auf die Fresse, das Money is meins!"

Foto: Wohnzimmer

Anfang der Nullerjahre glaubte man noch, dass in Berlin alles gut werden würde. Die dazu passende Hymne Dickes B ("Im Sommer tust du gut, und im Winter tut's weh") war 2001 so etwas Ähnliches wie der breitbeinige und im Gegensatz zum damals gängigen Lalelu-Techno der Love Parade sympathischere Entwurf eines neuen Lebensgefühls im frisch wiedervereinten Schland.

Er kam zwar passend zum neuen Selbstbild der mauerbefreiten Stadt von einer multiethnischen Gruppe namens Seeed. Dass sich diese allerdings ausgerechnet den nicht immer ethisch einwandfreien, sehr gern als sexy missverstandenen sexistischen und homophoben jamaikanischen Reggae und seine diversen Unterspielarten als Tätigkeitsfeld auserkoren hatte, der im Wesentlichen seit den späten 1970er- und frühen 1980er-Jahren stagnierte, fiel dabei nicht einmal so auf.

Seeed

Immerhin kam Reggae bis dahin im deutschen Mainstream meist eher nur als ironisch-exotischer Sommerhit oder als Persiflage im Stil der EAV vor – oder als religiöser Kifferwahnsinn von Hans Söllner. Die Gewissheit, dass bei Reggae-Konzerten das weltweit anstrengendste und sozial auffälligste Publikum vorzufinden ist (inklusive Kleinkindern und Hunden), ist wissenschaftlich erwiesen. Punkt.

Seeed füllten mit ein wenig undifferenzierten und zart egalen Hits und Riddims wie Dancehall Caballeros, Music Monks, Waterpumpee oder Schwinger über die Jahre die großen Hallen. Seit 2012 herrschte bezüglich einer Albumveröffentlichung Funkstille. Zuvor veröffentlichte Haupt-Seeed Peter Fox 2008 das absolut supertolle Soloalbum Stadtaffe, eine singuläre und leider ohne Wiederholung geplante, musikalisch die engen Reggae- und Dancehall-Vorgaben um Streichorchester und Klöppelbeats erweiterte Leistung, die im Kollektiv offenbar nicht möglich ist.

"Optimistischer Imperativ"

Nach dem überraschenden Tod von Co-Frontmann Demba Nabé im Vorjahr hat man jetzt als Tentett trotzdem wieder ein neues Album erstens geschafft und zweitens sogar veröffentlicht. Wir wissen, die Zeit wird in Jamaika gern länger als eine Zigarettenlänge gedehnt.

Das Album titelt Bam Bam und klingt ungefähr so spannend wie die Neuauflage einer großen Koalition, egal ob in Deutschland oder Österreich. Lieder wie Geld,Lass Sie Gehn oder No More Drama inklusive ihres "optimistischen Imperativs" sorgen allerdings für heitere Stimmung auf einer derzeit laufenden und innerhalb kürzester Zeit ausverkauften Tournee durch den deutschsprachigen Raum. Lustig, ausgerechnet am Tag ihres Wienkonzerts tritt das Rauchverbot in Kraft. Es gilt auch für Sportzigaretten. (Christian Schachinger, 30.10.2019)