Die SPÖ hat sich um das Thema Flüchtlinge, Migration und Integration immer herumgedrückt – mit wenig Erfolg. Die Wähler bekamen von der SPÖ die Antworten nicht, die sie erwarteten. Sie wandten sich daher jenen Parteien zu, die zwar auch keine Antworten haben, aber mit viel Wind jene Vorurteile schüren, die ihnen als Mittel der Stimmenmaximierung lohnend erscheinen.

Der theoretische Anspruch der Sozialdemokratie ist ja ein hehrer: Gerechtigkeit und Solidarität, hilf deinen Nachbarn, unterstütze Menschen in Not, egal ob In- oder Ausländer. Dieser Anspruch deckt sich aber nicht mit der Lebensrealität vieler Bürger, auch nicht jener, die SPÖ-Anhänger sind oder waren. Viele fühlen sich in ihrer Skepsis gegenüber Ausländern, die nicht als Mitbürger, sondern vielmehr als Bedrohung wahrgenommen werden, anderswo besser aufgehoben. Lange Jahre war dies bei der FPÖ, die das Instrumentarium der Fremdenfeindlichkeit perfekt beherrschte; zunehmend auch bei der ÖVP von Sebastian Kurz, der ebenfalls gut weiß, die passenden Saiten anzuschlagen.

Die SPÖ steckt im Zwiespalt. Hoch die internationale Solidarität: Das klingt super in der Theorie, in der Praxis geht es einem aber gehörig gegen den Strich, wenn man sich in seiner Umgebung fremd fühlt, wenn sich die türkische Nachbarsfamilie nicht zu benehmen weiß oder einem der Jugo den Job wegnimmt.

Andreas Schieder, Pamela Rendi-Wagner und Renate Anderl bei der 1. Mai-Kundgebung der SPÖ am Wiener Rathausplatz.
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Gerade die Wiener SPÖ versuchte in vielen Bereichen gegenzusteuern. Integration wurde gefördert, Wohnraum geschaffen, ein dichtes soziales Netz aufgespannt, allen sollte es gut gehen. Geredet wurde nicht darüber. Aus einer einfachen Überlegung: Das kommt nicht gut an.

Dadurch hat sich die Partei selbst gelähmt. Sie hat die Oberhoheit über eines der wichtigsten, weil auch emotionalsten Themen aufgegeben. Sie hat der FPÖ und dann auch der ÖVP die Deutungshoheit zugestanden.

Typische SPÖ-Manier

Wien wurde längst von der Realität überrollt. Integration hat vielfach nicht funktioniert. Es gibt Parallelgesellschaften. Es gibt Stadtteile, in denen kaum noch Deutsch gesprochen wird. Es gibt Schulklassen, die für Lehrer eine echte Herausforderung sind, manchmal eine Überforderung. In bestimmten Kriminalitätssparten sind Menschen – Männer – mit ausländischer Staatsbürgerschaft stark überrepräsentiert. Das ist Realität, in Wien ganz besonders. Aber die Partei, so scheint es, hat darauf keine Antworten, will das nicht wahrhaben.

Innerhalb der SPÖ hat sich jetzt eine Gruppe an Funktionären mit Migrationshintergrund gefunden, die ihre Partei dazu zwingen will, sich mehr damit auseinanderzusetzen. Aber auch diese lobenswerte Initiative produziert viel heiße Luft. Die Vielfalt wird in den Vordergrund gestellt, Diversität gepriesen, Solidarität eingefordert. Missstände werden kaum angesprochen – in typischer SPÖ-Manier.

Wenn sich die SPÖ nicht der Realität stellt, auch Fehlentwicklungen anspricht, wird sie spätestens bei der Wien-Wahl wieder ein massives Problem bekommen. FPÖ und ÖVP werden ihr das Thema Ausländer in allen Facetten um die Ohren schlagen – und das ist der wunde Punkt der SPÖ.

Wer Probleme nicht benennt, dem nimmt man die Lösungskompetenz nicht ab. Man kann Missstände auch ansprechen, ohne Rassist zu sein. Nur wenn die SPÖ das Thema angeht und zu einer klaren Sprache findet, kann sie den tatsächlichen Fremdenfeinden Wind aus den Segeln nehmen. (Michael Völker, 29.10.2019)