Das Grundstück in der nordsyrischen Provinz Idlib, auf dem IS-Chef Baghdadi sich versteckt haben soll.

Foto: AFP / Omar Haj Kadour

Die türkische Regierung hatte die Nachricht vom Tod des IS-Anführers Abu Bakr al-Baghdadi begrüßt. "Die Tötung des Daesh-Führers (so der türkische Name des IS, Anm.) ist ein großer Erfolg im Kampf gegen den weltweiten Terrorismus", schrieb Tayyip Erdoğans Kommunikationschef Fahrettin Altin noch am Sonntagabend auf Twitter. Anschließend betonte er, wie sehr das Land unter den Anschlägen des IS gelitten habe. "304 türkische Staatsbürger kamen bei Attentaten von Daesh um, 1.338 wurden verwundet." Als einer der tragischsten Anschläge gilt der auf die Diskothek Reina zu Weihnachten 2016.

Anschließend betonte Altin die Rolle der Türkei im Kampf gegen den IS: "Die Türkei hat in den vergangenen vier Jahren über 2.000 Operationen durchgeführt, dabei wurden 1.200 Personen verhaftet, die in Verbindung zu Daesh standen."

Gefährlicher Informationsaustausch

Nicht alle jedoch dürften dieser Meinung sein. Der Terroristenführer war am Sonntagabend in Nordsyrien von US-Spezialkräften aufgespürt worden. Baghdadi soll daraufhin seinen Sprengstoffgürtel gezündet haben. US-Präsident Donald Trump dankte noch am Sonntagabend der Türkei für ihre Mitarbeit. Angeblich aber, so legte eine Quelle des Magazins Foreign Policy nahe, soll Ankara über die Operation nicht informiert gewesen sein. Im Gegenteil – man habe es sogar für gefährlich gehalten, Informationen über die Operation mit Ankara zu teilen.

Washington vertraute dabei lieber den kurdischen Verbündeten. Die sind seit Jahren die wichtigsten Alliierten des Pentagon im Kampf gegen den IS und zahlen dabei den höchsten Blutzoll. Während mehr als 10.000 kurdische Kämpfer im Kampf gegen den IS starben, unterstützte Ankara die Amerikaner nur dann, wenn dies nicht zugunsten der Kurden ging. Die türkische Regierung sieht die kurdische YPG als Schwesterorganisation der PKK an, die seit Jahrzehnten immer wieder Terroranschläge im Land verübt. Ein Rückzugsgebiet der PKK jenseits der Grenze will man deswegen unbedingt verhindern. Die jüngste Offensive in Syrien soll genau dafür sorgen, indem ein "Sicherheitskorridor" entsteht.

Erinnerung an Kobanê

Als Affront sah man deswegen auch die Politik der USA: Als Nato-Partner erwartet man sich in Ankara Unterstützung im Kampf gegen die PKK – der Kampf gegen den IS erscheint da eher zweitrangig.

Als besonders folgenschwer erwies sich diese Politik beim Kampf um Kobanê Ende 2014 bis Anfang 2015. Kurdische Kämpfer verteidigten die nordsyrische Stadt verbissen gegen den IS, während die türkische Armee nördlich der Grenze tatenlos zusah. Das Verhalten stieß damals auf große Kritik im Ausland wie im Inland.

Laut dem Journalisten Can Dündar, der mittlerweile im Exil in Deutschland lebt, soll der türkische Geheimdienst MIT sogar Waffen an den IS geliefert haben, um die kurdischen Milizen zu schwächen. Die Regierung behauptet, die Waffen seien für Turkmenen in Syrien bestimmt gewesen. Der Vorfall ist bis heute nicht völlig aufgeklärt. (Philipp Mattheis, 29.10.2019)