Immer am 24. April gedenkt Armenien am Zizernakaberd-Denkmal in Eriwan in einer Zeremonie des Massakers an 1,5 Millionen Armeniern durch osmanische Streitkräfte im Jahr 1915. Heuer jährte sich das Massaker zum 104. Mal.

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Washington – Das US-Repräsentantenhaus hat die Massaker an den Armeniern im Osmanischen Reich während des Ersten Weltkriegs mit überwältigender Mehrheit als Völkermord anerkannt. Die entsprechende Resolution wurde am Dienstag (Ortszeit) mit 405 zu elf Stimmen angenommen. In ihr heißt es, die USA würden den Völkermord an den Armeniern anerkennen und die Tötung von 1,5 Millionen Armeniern durch das Osmanische Reich verurteilen.

Die Türkei als Nachfolgerin des Osmanischen Reichs erklärte am Mittwoch, die Regierung und das Volk hielten die Resolution für "völlig null und nichtig".

Bis zu 1,5 Millionen Opfer

Die Türkei gesteht zwar den Tod von 300.000 bis 500.000 Armeniern während des Krieges ein, weist aber die Einstufung als Völkermord strikt zurück. Während des Ersten Weltkriegs waren Armenier systematisch verfolgt worden und unter anderem auf Todesmärsche in die syrische Wüste geschickt worden. Historiker sprechen von Hunderttausenden bis zu 1,5 Millionen Opfern.

Die Sprecherin der Parlamentskammer, Nancy Pelosi, begrüßte das Votum des Repräsentantenhauses: "Heute hat eine überwältigend überparteiliche Mehrheit dafür gesorgt, dass die Wahrheit für immer in das Kongressprotokoll aufgenommen wird", twitterte sie. Zu oft sei die tragische Realität des Völkermords an den Armeniern geleugnet worden.

"Resolution für den inländischen Konsum"

Das türkische Außenministerium erklärte dagegen der staatlichen Nachrichtenagentur Anadolu zufolge, die Resolution sei offenbar "für den inländischen Konsum verfasst und herausgegeben" worden und habe keine "historische oder rechtliche Grundlage". Sie sei rechtlich nicht bindend und ein "bedeutungsloser politischer Schritt". Sie richte sich nur an die armenische Lobby und antitürkische Gruppen.

Der türkische Außenminister Mevlüt Çavuşoğlu warf den USA via Twitter vor, die "antiquierte Resolution" sei Rache für die türkische Militäroffensive in Nordsyrien. "Kreise, die glauben, dass sie sich auf diese Weise rächen werden, irren sich."

Die türkische Regierung lud am Mittwoch als Reaktion den amerikanischen Botschafter in Ankara vor. Der US-Diplomat David Satterfield sei wegen einer "Resolution, die jeder historischen oder rechtlichen Grundlage entbehrt" ins Außenministerium zitiert worden, teilten Ministeriumsvertreter mit.

Am frühen Nachmittag meldete sich auch Präsident Tayyip Erdoğan zu Wort: "Dieser Schritt hat absolut keinen Wert und wir erkennen ihn ohnehin nicht an", sagte er in Ankara. "Dennoch bedauern wir, dass diese Verleumdung gegen unser Land in einem Parlament eines Landes angenommen wurde. Was ist das für eine Haltung?"

Erdoğan: "Größte Beleidigung unseres Volkes"

Erdoğan sagte außerdem, dass im islamischen Glauben Genozid strikt verboten sei. "Diejenigen, die eine Vertreibung als Genozid darstellen, suchen einen Schuldigen", sagte er. Er betrachte die Resolution als "größte Beleidigung unseres Volkes". Auch er sagte, die Entscheidung sei "allein aus innenpolitischen Erwägungen getroffen".

Durch die Militäroffensive gegen kurdische Kämpfer in Nordsyrien hatten sich die Beziehungen zwischen den beiden Ländern stark verschlechtert. Das türkische Militär war mit verbündeten Rebellen am 9. Oktober in Nordsyrien einmarschiert. Ankara betrachtet die Kurdenmiliz YPG als Terrororganisation. Für die USA waren die von der YPG geführten Syrischen Demokratischen Kräfte (SDF) ein wichtiger Partner im Kampf gegen die Terrormiliz "Islamischer Staat" (IS). Der Abzug von US-Truppen aus Nordsyrien hatten den Einmarsch der Türkei erst möglich gemacht.

Mehr als ein Dutzend Staaten sprechen von Genozid

Der Deutsche Bundestag hatte im Juni 2016 in einer Resolution ebenfalls von Völkermord an den Armeniern gesprochen. Das hatte zu einer starken Verschlechterung der deutsch-türkischen Beziehungen geführt; Bundeskanzlerin Angela Merkel erklärte die Resolution als für ihre Regierung rechtlich nicht bindend. Auch Frankreich, Russland, die Schweiz und die Niederlande und mehr als ein Dutzend weiterer Staaten werten das Blutbad an den Armeniern als Völkermord. Die Südkaukasusrepublik Armenien fordert seit langem von der Türkei, die Gräueltaten als Genozid anzuerkennen. (APA, dpa, 30.10.2019)