Die wichtigsten ausländischen Akteure in Syrien an einem Tisch in Genf: der iranische Außenminister Javad Zarif, sein russischer Kollege Sergej Lawrow und der türkische Außenminister Mevlüt Çavuşoğlu.

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Nach mehr als acht Jahren Bürgerkrieg in Syrien mit hunderttausenden Toten und Millionen Vertriebenen setzen sich Regierung und Opposition erstmals an einen Verhandlungstisch. Gemeinsam mit Vertretern der Zivilgesellschaft und mit Unterstützung der Vereinten Nationen wollen sie in Genf eine neue Verfassung ausarbeiten.

"Dies ist ein historischer Moment", sagte der norwegische UN-Syriengesandte Geir Pedersen bei der Eröffnungssitzung am Mittwoch. "Die Tatsache, dass Sie bereit sind, einen Dialog zu starten, ist ein starkes Signal der Hoffnung für Syrer überall."

Der Verfassungsausschuss startet mit je 50 Vertretern der Regierung, der Opposition und der Zivilgesellschaft. Ziel ist ein Verfassungsreferendum, gefolgt von freien Wahlen unter UN-Aufsicht. Die Erwartungen sind aber gering, da alle bisherigen Gespräche über ein Ende der Gewalt in Syrien ohne Ergebnis geblieben und die Regierungstruppen mit russischer Hilfe bereits einen großen Teil des Landes wieder unter ihre Kontrolle gebracht haben. Die Opposition hat bei den Verhandlungen kaum Druckmittel.

Kämpfe zwischen syrischen und türkischen Truppen

Während in Genf versucht wird, erste Schritte in Richtung Frieden zu tun, sind im Grenzgebiet zwischen Syrien und der Türkei rund um die Stadt Ras al-Ayn nach syrischen Angaben schwere Kämpfe zwischen den Streitkräften beider Länder ausgebrochen. Der türkische Präsident Tayyip Erdoğan will dort auf syrischem Gebiet eine 30 Kilometer lange und 400 Kilometer breite "Sicherheitszone" einrichten, um zwei Millionen in der Türkei lebende syrische Flüchtlinge dorthin zu übersiedeln. Die syrische Regierung spricht von einer "Besetzung" und forderte die gerade erst abgezogenen Kurden zum gemeinsamen Kampf gegen die Türkei auf.

"Wir stehen in Syrien einem gemeinsamen Feind gegenüber", teilte das syrische Verteidigungsministerium am Mittwoch der staatlichen Nachrichtenagentur Sana zufolge mit. Kurden und Araber müssten sich angesichts der "türkischen Aggression" vereinen, um "jeden Zentimeter der geliebten syrischen Gebiete wiederherzustellen". Das syrische Innenministerium erklärte sich bereit, für die Bewohner der Region "alle für zivile Angelegenheiten benötigten Dienste" bereitzustellen. Worum es sich bei diesen Diensten genau handelt, blieb unklar. Von türkischer Seite gab es zu den Kampfhandlungen bisher keine Stellungnahme.

Wie die deutsche Wochenzeitung "Die Zeit" berichtet, hat der türkische Außenminister Mevlüt Çavuşoğlu in Genf jedoch die Übergabe türkisch kontrollierter Gebiete in Nordsyrien an die Regierung in Damaskus in Aussicht gestellt. Wenn die syrische Regierung in der Lage sei, ihr Territorium zu schützen und "Terrororganisationen" zu bekämpfen, "sollten alle Gebiete an Syrien übergeben werden", sagte Çavuşoğlu. Er betonte, dass die Türkei Regionen in Nordsyrien sowohl von der Kurdenmiliz YPG als auch von der Terrormiliz "Islamischer Staat" (IS) "gesäubert" habe. Ankara betrachtet die YPG als Ableger der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK und damit als Terrororganisation.

34.000 Kurden samt Waffen abgezogen

Der Aufruf zum Kampf kommt just nachdem sich die Kurden aus dem Gebiet zurückgezogen haben. Deren Abzug war Teil eines vor einer Woche zwischen der Türkei und Russland, als Schutzmacht Syriens, ausgehandelten Abkommens. Bis Dienstag, 16 Uhr sollten die kurdischen Milizen das Gebiet der geplanten "Sicherheitszone" räumen.

Wie der russische Verteidigungsminister Sergej Schoigu mitteilte, haben die Kurden ihren Abzug noch vor Fristende vollzogen. 34.000 Menschen seien aus dem Gebiet abgezogen und hätten 3.000 Waffen sowie Militärtechnik aus der 30-Kilometer-Zone mitgenommen. Die syrischen Truppen hätten nach dem Abzug der YPG an der Grenze zur Türkei inzwischen außerdem mehr als 80 Kontrollpunkte eingerichtet, sagte der russische Generalmajor Juri Borenkow am Dienstagabend.

Erdoğan sagte, Russland habe ihn über den Abzug der "Terrorgruppen" in Kenntnis gesetzt, zeigte sich allerdings skeptisch, ob der Abzug wirklich vollständig stattgefunden habe. "Wir werden durch gemeinsame Patrouillen feststellen, ob sich die Terroristen tatsächlich zurückgezogen haben oder nicht", teilte der Sprecher des türkischen Präsidenten, Fahrettin Altun, am Dienstag auf Twitter mit. Erdoğan drohte, die Offensive wiederaufzunehmen, sollten sich die YPG nicht vollständig zurückziehen. (red, APA, dpa, 30.10.2019)