Pianistin Elisabeth Leonskaja schont sich und ihr Publikum nicht.

Foto: Regine Hendrich

Sie spielt und spielt und spielt – öffentlich seit über 60 Jahren, im Wiener Musikverein seit bald vier Jahrzehnten. Ja, die Pianistin Elisabeth Leonskaja ist eine konstante Größe in der Klassikbranche, eine Grande Dame. Weiß ihre Altersgenossin Martha Argerich immer noch mit einer unverwechselbaren Note perkussiver Herbheit zu erfrischen, so fesselt die in Tiflis geborene und in Wien lebende Künstlerin als große, weise Erzählerin, die detailfreudig und sensibel über emotionale Stimmungen und Wechselfälle zu berichten versteht.

Auch jenseits der 70 Jahre stellt sich Leonskaja noch dem Stress eines Soloabends, und auch innerhalb dieses fordernden Formats gönnt sie sich kein Schonprogramm. Mozart-Sonaten, Chopin-Walzer? Vielleicht später einmal. Bei ihrem Recital im Großen Musikvereinssaal stemmte sie am Dienstagabend gleich zwei große Brocken der Klavierliteratur: Robert Schumanns Sonate op. 11 in fis-Moll sowie dessen Symphonische Etüden op. 13. Ein Bravourakt, bei dem die Routinière aber auch die Grenzen zur Überforderung streifte – bei sich selbst und auch beim Publikum, welches den zweieinhalbstündigen Konzertabend zumeist beeindruckt, aber auch ein wenig erschöpft verließ.

Traut sich, kann es

Bei der Künstlerin war die Durchhaltekraft nicht das Problem: Nachdem sie im Finale der Symphonischen Etüden, dieses gewaltigen, abwechslungs- und anforderungsreichen Variationenwerks, noch einmal alle Schleusen ihres Emotionskraftwerks geöffnet hatte, servierte Elisabeth Leonskaja als Dessert zu ihrem romantisch-üppigen Programmmenü spontan Schönbergs 6 kleine Klavierstücke op. 19: frisch, präzise, kundig und mit einer großen Selbstverständlichkeit. Das muss man erst einmal können, das muss man sich auch erst einmal trauen.

Die letzte Präzision hatte sie bei der Interpretation der beiden Großwerke Schumanns nicht dauerhaft erreicht; die Anstrengung, die Mühe der Bewältigung dieser Tongebirge war immer wieder spür- und auch hörbar. Schade auch, dass die Intonation des Steinway-Flügels mehr auf Durchschlagskraft denn auf klangliche Schönheit, wärmende Weichheit und Finesse fokussiert war.

Großmeisterin des Stop-and-go

Zum Warmspielen für die fis-Moll-Sonate wählte Leonskaja Chopin: Bei den zwei Polonaisen op. 26 mischten sich Stolz, Eleganz, militärische Strenge und Melancholie "comme il faut". Wundervoll die Spannungsbögen im Es-Dur-Nocturne op. 55/2 – immer schön, Leonskaja als Großmeisterin der Tempoflexibilität zu erleben, dieses Wechselspiels von Drängen und Tändeln, von Stop-and-go. Etwas bemüht die schwebende Virtuosität im Fantaisie-Impromptu.

Die acht der Elf Humoresken von Jörg Widmann aus dem Jahr 2007 unterhielten nach der Pause ganz vorzüglich: ein bisschen Schumann-Bezug und viel Fantasie und handwerkliches Können machten diese Hintergründigkeiten zu amüsanten Petitessen, die sich bei den beiden Außenstücken sogar zu großer (komödiantischer) Oper weiteten. Freudvoller Applaus für einen Konzertabend, den die Künstlerin dem Andenken an Jörg Demus und Paul Badura-Skoda widmete. (sten, 30.10.2019)