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Ohne Frauen in aktiven Rollen ließe sich heute keine TV-Serie (hier: "Vikings") mehr auf den Markt bringen. Die Realität könnte der Fiktion aber in manchen Punkten nahe gekommen sein.
Foto: AP Photo/History, Jonathan Hession

Dass die skandinavischen Länder heute als Vorbild bei der Gleichstellung von Mann und Frau gelten, könnte nur der jüngste Ausdruck einer lange zurückreichenden Gesellschaftsstruktur sein: Diese Vermutung leiten Forscher der Universität Tübingen aus ihren Erkenntnissen über das Verhältnis von Mann und Frau zu Zeiten der Wikinger ab.

Als Grundlage diente ihnen dafür nicht die Interpretation historischer Quellen, sondern buchstäblich härtere Belege: nämlich Knochen und Zähne. Das Team um Laura Maravall und Jörg Baten hat aus frühmittelalterlichen Gebeinen auf den Gesundheitszustand der betreffenden Menschen geschlossen. Und ist zum Ergebnis gekommen, dass Ernährung und Pflege bei Männern wie Frauen annähernd gleich gewesen sein muss – ein Indiz dafür, dass sie auch einen vergleichbaren gesellschaftlichen Rang hatten.

Das Untersuchungssample

Grundlage der Studie waren Daten aus dem europäischen Teil des Global History of Health Project (GHHP), in dem Untersuchungen an menschlichen Skeletten von mehr als hundert europäischen Fundorten aus den vergangenen 2.000 Jahren zusammengetragen wurden. Die Forscher werteten vor allem die Daten zum Zustand der Zähne aus, da Mangelernährung und Krankheiten während der frühen Kindheit linienartige Schäden auf den Zähnen hinterlassen.

"Wir haben die Hypothese aufgestellt, dass bei Mädchen und Frauen relativ mehr solcher Schädigungen zu finden sein müssten, wenn sie weniger Nahrung und Pflege erhielten als die männlichen Mitglieder der Gesellschaft", erklärt Maravall. "Wie stark sich die Werte bei Männern und Frauen unterscheiden, ist daher auch ein Maß für die Gleichstellung innerhalb der Population."

Dass ein enger Zusammenhang zwischen der relativen Häufigkeit der Zahnschmelzschäden und dem allgemeinen Gesundheitszustand besteht, belegten die parallel dazu erhobenen Längenmessungen der Oberschenkelknochen. Dieses Maß gibt Auskunft über die Körperlänge, die bei guter Ernährung und Gesundheit größer ausfällt.

Unterschiede bei den Unterschieden

Das Bild, das sich aus den Daten ergab, war differenziert: In größeren Städten wie Trondheim, Lund oder Sigtuna, dem Vorläufer Stockholms, hatten sich laut Baten im frühen Mittelalter bereits verschiedene Stände herausgebildet. Und es gab auch erkennbare Unterschiede in der Stellung von Mann und Frau – wenn auch deutlich geringere als in der Mittelmeerregion oder in osteuropäischen Städten.

Urbanität war im damaligen Skandinavien allerdings ohnehin ein Sonderfall, der überwiegende Teil der Bevölkerung lebte in ländlichen Gemeinschaften. Und dort hätten Frauen in ländlichen Regionen bereits in der Wikingerzeit im späten 8. bis 11. Jahrhundert und im darauf folgenden Mittelalter eine vergleichsweise günstige Stellung gehabt, so die Forscher.

Ein Faktor könnte dabei gewesen sein, dass die Viehzucht in Skandinavien wichtiger war als der Ackerbau, vermutet Baten: "Anders als beim Ackerbau, der wegen der höheren Muskelkraft vor allem von Männern betrieben werden musste, konnten Frauen bei der Viehhaltung viel zum Familieneinkommen beitragen. Das hob wahrscheinlich ihre Stellung in der Gesellschaft."

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Eine als Walküre gestaltete Brosche aus dem 9. Jahrhundert.
Foto: AP Photo/British Museum

Letztlich könnte die aus der weitgehenden Gleichstellung entsprungene gute Konstitution der Frauen auch der wahre Kern dessen gewesen sein, was in überhöhter Form in die Mythologie einging und sich als gängiges Motiv von Skandinavien schließlich bis in die ganze Welt ausbreitete: "Diese Frauen in den nordischen Ländern könnten populäre Mythen über die Walküren genährt haben. Sie waren stark, gesund und hochgewachsen", sagt Baten. (red, 3. 11. 2019)