Die kleinen Sanderlinge legen Jahr für Jahr gewaltige Distanzen zurück. Das kommt ihnen nicht immer zugute.
Foto: Jeroen Reneerkens

Alle Jahre wieder über tausende oder gar zehntausende Kilometer hinweg zwischen Sommer- und Winterquartier zu pendeln, ist eine immense Kraftanstrengung für Zugvögel. Man sollte meinen, dass sich der Aufwand wenigstens lohnen sollte. Das muss aber keineswegs immer der Fall sein: Zu diesem überraschenden Fund ist nun ein niederländisch-deutsches Forscherteam gekommen, wie die Universität Gießen berichtet.

Das Team um Jeroen Reneerkens von der Universität Groningen hat den Sanderling (Calidris alba) studiert, einen Watvogel aus der Gattung der Strandläufer, der seine Brutgebiete rings um die Arktis hat. Wenn dort die kalte Jahreszeit einkehrt, ziehen die etwa amselgroßen Vögel nach Süden – und das teils über gewaltige Strecken. Manche schlagen ihr Winterquartier bereits an der Nordseeküste auf, andere ziehen bis nach Südafrika (und auf der anderen Seite der Welt bis nach Australien) weiter. Ihre jährlichen Migrationsflüge variieren zwischen 3.700 und 22.000 Kilometern.

Wege nachverfolgt

Der Gießener Forscher Johannes Lang, der an der im "Journal of Animal Ecology" veröffentlichten Studie beteiligt war, beringt seit 2011 Sanderlinge in Nordost-Grönland und hat sie unter anderem mit Geologgern ausgestattet. Mit deren Hilfe konnten die Forscher nun zeigen, wo die Tiere überwintern und auf welchem Weg sie in ihre Überwinterungsgebiete und wieder zurück gelangen.

Sieben Jahre lang untersuchten sie die Vor- und Nachteile eines Winteraufenthaltes an mehreren Orten in Europa und Afrika. Mit Farbringen markierte das Team individuell tausende von Vögeln, die dann von einem großen internationalen Netzwerk von Freiwilligen beobachtet und gemeldet wurden. Dies ermöglichte es dem Forscherteam, sowohl die Überlebenswahrscheinlichkeiten als auch den Zeitpunkt der Migration nach Norden genau abzuschätzen.

Reisewarnung

Dabei kristallisierte sich eine Destination heraus, für die sich der lange Anflug offenbar nicht auszahlt: Westafrika. Sanderlinge, die dort überwintern, sterben im Schnitt eher jung oder kommen spät zu ihren Brutstätten zurück. Junge Vögel verbringen bisweilen sogar ihren ersten Sommer im tropischen Afrika – was bedeutet, dass sie ihre erste Brutmöglichkeit verpassen.

Die Forscher vermuten die Ursache darin, dass die Vögel kurz vor dem Verlassen des tropischen Winterquartiers nur wenig und/oder minderwertige Nahrung finden. Möglicherweise haben Sanderlinge aus Westafrika häufiger nicht genügend Energiereserven für den langen Flug. Oder sie müssen zusätzliche Zwischenstopps zwecks Futteraufnahme einlegen, wodurch sich ihre Ankunft im grönländischen Brutgebiet verzögert.

Eine bessere Destination

Deutlich besser schneiden Sanderlinge ab, die noch einmal ein gutes Stück weiter gezogen sind, nämlich bis in den Süden Afrikas. Tiere, die in Namibia überwintern, fliegen in einem einzigen Flug von mehr als 6.000 Kilometern Länge über Afrika nach Norden zurück. Diese enormen Flüge durch die Sahara haben jedoch keinen Einfluss auf das Überleben oder den Zeitpunkt der Migration. Dies ist nur möglich, wenn die Vögel in Namibia ausreichend Nahrung finden, um die nötigen Energiereserven für ihren Gewaltflug zu haben.

"Unsere Ergebnisse deuten darauf hin, dass Vögel Westafrika im Frühjahr aktiv meiden – möglicherweise, weil es dort zu wenig Nahrung gibt", sagt Lang. Als nächstes wollen die Forscher jene Vögel genauer unter die Lupe nehmen, die ihre Wanderung sparsam anlegen und bereits im relativ nahen Wattenmeer überwintern. (red, 2. 11. 2019)