Regina King ist die gute Nachtschwester – aka "Sister Night".

Foto: HBO / Sky

Jeremy Irons gibt den köstlich garstigen Gruselkönig Adrian Veidt – aka Ozymandias.

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Don Johnson ist der brave Polizeichef Judd Crawford der bedrohten Stadt Tulsa.

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Der Welt geht es nicht gut. Mitten am Tag regnet es schlabbrige Tintenfische, auf Bäumen wachsen Tomaten, in der Schule geben Kinder Hasssprüche von sich, in einem einsamen Schloss veranstaltet ein irrer Hausherr Theaterinszenierungen, die regelmäßig blutig enden. Höchste Zeit, dass jemand für Ordnung sorgt, höchste Zeit für: Sister Night!

So oder so ähnlich funktionierten Superheldenserien zu Zeiten von Superman und Batman. Jahrzehntelang retteten sie Frauen, Männer, Kinder in letzter Minute. Mit übermenschlichen Kräften stellten sie die Ordnung wieder her. Gut, dass wir sie haben.

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Mit der Zeit wurden die Helden auch menschlicher. Nicht nur Kryptonit sorgte für wunde Punkte. Es kamen Gefühle auf, die schwächten die fliegenden, kriechenden, krabbelnden, jedenfalls perfekt funktionierenden Heroen – und machten sie dadurch umso interessanter.

In letztere Kategorie fällt Watchmen, wo eingangs erwähnte Tintenfische vom Himmel platschen und der gelangweilte Gruselkönig Massaker an Dienstbeamten begeht, alles zu sehen ab Montag auf Sky. Die HBO-Serie ist eine sehr lose Adaption des 1986 und 1987 erschienenen DC-Graphic-Novel von Alan Moore (Text), Dave Gibbons (Zeichnungen) und John Higgins (Kolorist).

Seltsame Gestalten mit noch seltsameren Namen

Darin unterwandern eine Reihe seltsamer Gestalten mit noch seltsameren Namen wie Ozymandias, Nite Owl, The Comedian, Dr. Manhattan, Silk Spectre, Rorschach und Easter Egg das supergefährliche Comic-Universum. Watchmen gilt unter Fans als eine Art Bibel. Das Time Magazine nahm Watchmen in die Liste der 100 besten englischsprachigen Romane zwischen 1923 und 2005 auf – als einzigen Comic. Eine zu ambitionierte Verfilmung scheiterte 2009. HBO sucht nach dem Ende von Game of Thrones einen Nachfolger, engagierte den Lost-Erfinder Damon Lindelof – und geht mit vorerst neun Folgen ein Wagnis ein.

Das fängt gar nicht gut an: Es beginnt mit dem Tulsa Race Massacre von 1921, einem rassistischen Massaker durch amerikanische Ku-Klux-Klan-Mitglieder, bei dem praktisch alle schwarzen Menschen ermordet wurden, sogar mit einem Bombardement aus Flugzeugen. Ein kleiner Bub verliert dabei seine Eltern, er selbst und ein Säugling bleiben am Leben. Wahre Kraft entsteht nur durch große Not. Das Kind bringt die besten Voraussetzungen mit. Mehr erfahren wir zunächst nicht.

Darum geht's den "Watchmen": Die eigentliche Story beginnt in einer unbestimmten Zeit in einem alternativen Amerika. Drei Jahre zuvor verübte die rassistische Terrororganisation "Siebente Kavallerie" einen verheerenden Anschlag auf Polizisten und deren Familien. Zum Schutz ihrer Identität müssen die Beamten im Dienst seither mit Schals ihr Gesicht verhüllen. Die Regierung ließ Internet und Handys verbieten. Das Land befindet sich in einem bedrohlich befriedeten Zustand, als ein Video auftaucht: "Wir sind niemand, wir sind jeder, wir sind unsichtbar." Die Terroristen tragen Baumwollmasken mit finsterer Totenschädeloptik, dazu karierte Holzfällerhemden. Sie sind wieder da.

Die maskierte Lichtgestalt: Weil man all das nicht einfach hinnehmen darf, tauscht Angela Abar (Regina King), Ex-Polizistin und Neo-Bäckerin, ihr Alltagsgewand mit einem schwarzledernen Umhang und setzt ihre Maske auf. Türen werden in einem solchen Aufzug nicht aufgemacht, sondern eingetreten. Den richtigen Schritt geben Technobeats an. In flatterndem Gewand und schwarzer Zorromaske macht sie die Nazi-Schurken alle. Mit ihren Haut-den-Lukas-Qualitäten hebt sie zunächst ein ganzes Rassistennetz aus. Doch sie wird mehr Hilfe brauchen – Watchmen aller Länder vereinigen sich.

Ist "Watchmen" das neue "Game of Thrones"? Auch wenn sich die Kritiken teilweise überschlagen, aus Sicht der Zuschauer ist das zumindest vorerst nicht der Fall. Auf der Wertungsplattform Rotten Tomatoes schafft die Serie mittelprächtige 71 Prozent bei den Usern. Den Auftakt im US-TV sahen vergangenes Wochenende eher bescheidene 1,5 Millionen. Autor Alan Moore soll nicht sehr begeistert sein. Es gibt viel Platz für Aaaargs, Uuuuhs und Kawumms, aber Game of Thrones? Sicher nicht.

Wer wird an "Watchmen" Freude haben? Man muss weder die Graphic Novel noch den Film kennen, um folgen zu können. Superheldenexperten werden die Serie natürlich anders betrachten. Wer in den 1980er-Jahren Miami Vice mochte, freut sich über ein Wiedersehen mit Don Johnson als tapferem Chief Officer. Jeremy Irons ist ein köstlich garstiger Gruselkönig Ozymandias, Regina King als zuschlagende schwarze Nonne aka Sister Night allerbeste Wahl. Die Kavalleristen mähen vom Panzer aus Kuhherden nieder, und dann kommt auch noch der Flieger von oben. Man kann das alles ernst nehmen, muss man aber nicht.

Fazit: Man muss Superheldensachen nicht mögen, um an Watchmen Gefallen zu finden. Aber es hilft zweifellos. (Doris Priesching, 31.10.2019)