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Auf Basis seiner Rap-Gospel-Konzerte, der "Sunday Services", entstand das aktuelle, christliche Album "Jesus is King".

Foto: Getty/Rich Fury

Kanye Wests markante Hybris verschleiert, dass der selbsternannte größte lebende Künstler im Kern auch nur ein Suchender, ein Zweifler ist.

Schon bei seinem 2013 erschienen Album Yeezus musste in letzter Sekunde die Produzentenlegende Rick Rubin aus dem kanye’schen Ideenchaos ein Album zimmern. Beim Folgewerk The Life of Pablo dokterte West sogar nach dessen Erscheinen noch an einzelnen Liedern herum und ließ sie dann auf den Streaming-Plattformen durch neue Versionen ersetzen. Für das im Vorjahr erschienene, sehr durchwachsene Werk Ye zog sich der Musiker mit seinen Dämonen und anderen Kontributoren auf eine Farm in Wyoming zurück, nur um das Album später in nur zwei Wochen neu aufzunehmen. Und was soll man über Yandhi sagen, das groß angekündigte Album, das sich am Ende gar nicht manifestierte?

Keine säkulare Musik mehr

Stattdessen erschien nun, nachdem der Veröffentlichungstermin nicht nur einmal verschoben wurde, Jesus is King, Kanye Wests 27-minütiges Eingeständnis, dass es wohl doch noch ein höheres Wesen als ihn selbst gibt. Er wolle überhaupt keine säkulare Musik mehr machen, ließ er verlautbaren. Eine klassisch apodiktische West-Aussage – er wird seine Meinung wieder ändern.

Der 42-Jährige war immer ein spiritueller Mensch, Gott und dessen Sohn schauten schon im Frühwerk auf Tracks vorbei, doch huldigte West auch immer anderen Götzen. Mal in Form von wohl gerundeten Hinterteilen, mal in Form von sorgfältig gestapelten Geldbatzen. Einst bezeichnete er sich als "the guy who believes in God but still likes pussy". Der Teufel lockte eben unentwegt. Damit ist vorerst Schluss. Nicht einmal Schimpfwörter finden sich auf Jesus is King – auch privat soll er sich angeblich gerade auf zwei pro Tag beschränken.

Kanye West - Topic

Vom Saulus zum Paulus?

Es mag schon sein, dass West sich tatsächlich für bekehrt hält. Wer den Künstler aber etwas kennt, sieht andere Motive für dessen Hinwendung zu Gott. Erstens scheint sich West tatsächlich nach etwas Größerem zu sehnen, das ihn auf den richtigen (musikalischen) Weg zurückführt – seit The Life of Pablo, dem letzten wirklich runden Album, fehlt es West an der klaren musikalischen Vision, die ihn zu einem der einflussreichsten Musiker der Gegenwart gemacht hat. Zweitens interessierte sich Kanye West immer für eine Art Gesamtkunstwerk, das Grenzen sprengt, das transzendiert. Da bietet sich die Errichtung einer Kirchen-Maschine natürlich an – und was gibt es schon Transzendentaleres als Gott?

West präsentierte also seine Pop-up-Messe, die "Sunday Services", die er später an unterschiedlichen Orten abhalten sollte, im Rahmen des diesjährigen Coachella-Festivals. Er huldigte dem Herrn mit zahlreichen Stargästen und einem Chor, der sich nun auch prominent auf dem neuen Album findet. Die starken Bilder der Services erreichten – nicht zuletzt wegen der Social-Media-Power der Kardashian-Familie – schnell Kultstatus. Im doppelten Wortsinn: West wirkt auf diesen Bildern wie ein Kultführer, wie der Heiland in carne.

Eliseo Way

Kein Konzept

Vielleicht sind es diese Bilder, die einen haben hoffen lassen, dass Jesus is King genauso klingen könnte, wie sie aussehen: gewaltig, utopisch und voller frischer Ideen. So ist es aber nicht. Das Album wirkt wie eine Ansammlung von B-Seiten früherer Alben. Die apokalyptischen Trommeln am Schluss von Selah erinnern an Wests dunkles Experimental album Yeezus, Follow God hätte sich auch auf Late Registration befinden können, und Hands on wäre sich auch auf 808 & Heartbreak ausgegangen. Das sind zwar an für sich alles keine schlechten Nummern, aber sie wirken beliebig aneinandergereiht. Ein Konzept, das ja für West eigentlich immer das Allerwichtigste ist, erschließt sich nicht. Auch der Chor kann nicht zusammenhalten, was nicht zusammengehört.

Oberflächliche Bibelstudien

Dazu kommt, dass Kanye West erschreckend wenig zu erzählen hat. Seine Beschäftigung mit dem Buch der Bücher dürfte trotz wöchentlichem Bibel-Tête-à-tête beim Privatpastor eher oberflächlich geblieben sein. Muss Kanye West jemand anderen außer sich selbst preisen, scheinen ihm die richtigen Worte zu fehlen.

Kanye West - Topic

Das Schöne an West ist allerdings, dass auch ein schlechtes Kanye-West-Album immer noch ein gutes Album ist. Selbst seine Tiefpunkte finden auf hohem Niveau statt. Water hat die Zutaten, zu überdauern, On God ist in seiner textlichen Banalität wenigstens lustig.

Wer sich mit Gospel beschäftigen will, wird trotzdem nicht zu diesem Album greifen. Wer ein gelungenes Kanye-West-Album hören will, auch nicht. Fettere Jahre werden aber wieder kommen. (30.10.19 Amira Ben Saoud)