Seit 127 Tagen ist Birgit Hebein Vizebürgermeisterin von Wien, seit 15 Tagen ist sie im grünen Sondierungsteam, um mit der ÖVP auszuloten, ob man in Koalitionsverhandlungen eintritt. Im STANDARD-Interview verweist die 52-Jährige immer wieder auf die mit Türkis vereinbarte Vertraulichkeit – und erklärt: "Ich will nicht irgendetwas daherschwurbeln."

STANDARD: Neuerdings trägt Grünen-Chef Werner Kogler beim Sondieren für eine allfällige Koalition mit der ÖVP von Sebastian Kurz einen dunklen Anzug und spricht auch schon von "neuem Stil" – muss das sein?

Hebein: Ich glaube, Sie irren sich. Den Anzug hat er schon länger. Und was den Stil unserer Gespräche betrifft, kann ich Ihnen versichern: Es gibt einen sehr korrekten und positiven Umgang miteinander.

"Es gibt immer so viele Gerüchte": Wiens Grünen-Chefin Birgit Hebein glaubt nicht an vorgezogene Neuwahlen in der Bundeshauptstadt.
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STANDARD: Bei der letzten Sondierungsrunde ging es um "Kontroversielles" – also auch um die neue Sozialhilfe, von Türkis-Blau paktiert, aber von den Grünen kritisiert?

Hebein: Da beide Seiten Vertraulichkeit vereinbart haben, nur so viel: Die Mindestsicherung wird Thema sein, aber ich kann mit Ihnen nicht die inhaltlichen Fragen erörtern. Unbestritten ist, dass für Kogler im Bund und mich in Wien die Bekämpfung der Kinderarmut ein Herzensanliegen ist.

STANDARD: Gut, dann Frage an Sie als Vizebürgermeisterin: Das rot-grüne Wien hat erklärt, die türkis-blaue Neuregelung der Mindestsicherung bis Jahresende nicht umzusetzen – bleibt es dabei?

Hebein: Ja. Für unsere Koalition in der Bundeshauptstadt gilt: Wir wollen die Armut bekämpfen und nicht die Armen. Daher stehe ich zu dem Mindestsicherungsgesetz, das wir mit der SPÖ ausverhandelt haben.

STANDARD: Wie wollen Sie da mit der ÖVP jemals auf einen grünen Zweig kommen?

Hebein: Das Spannende an den Gesprächen mit der ÖVP ist nun: Kann man auch Kompromisse finden, wenn zwei so unterschiedliche Parteien an einem Tisch sitzen? Nehmen wir etwa die Begriffe Heimat und Zuhause: Darunter versteht jeder etwas anderes, aber das Gefühl, das dahintersteckt, ist ganz ähnlich: das Bedürfnis nach Geborgenheit und Sicherheit. Und die Frage, die wir bis Ende nächster Woche geklärt haben wollen, lautet: Kann daraus etwas Gemeinsames entstehen?

STANDARD: Die Erzählung der ÖVP besagt, dass eine Koalition mit Grün einst auch wegen der Wiener Landesgruppe scheiterte – könnte sich die Geschichte wiederholen?

Hebein: Um die Verhandlungen 2003 ranken sich viele Mythen. Doch wir Grüne spüren jetzt schon die Verantwortung: In der U-Bahn fragen mich viele Leute, ob es sich mit der ÖVP ausgeht – dass wir ernsthafte Gespräche führen, fanden bisher alle gut.

STANDARD: Wenn die Grünen im Bund in Opposition gehen, würden sie bei der Wien-Wahl 2020 weniger Angriffsfläche bieten. Spielen solche Überlegungen eine Rolle?

Hebein: Ich bin nicht in die Politik gegangen, um hier mit zwei Zetteln zu sitzen, auf denen steht, was bringt mir die meisten Vorteile und was die meisten Nachteile. Ich darf Sie nur daran erinnern, dass wir jetzt eineinhalb Jahre Türkis-Blau gehabt haben, und das war weder für Wien gut noch für unser Land. Daher trage ich Mitverantwortung auszuloten, ob es zu einer Koalition mit den Grünen kommen könnte.

"Ich stehe zu dem Mindestsicherungsgesetz, das wir mit der SPÖ ausverhandelt haben."
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STANDARD: Als Klimaschützerin ist für Sie eine dritte Piste wohl ein No-Go?

Hebein: Dass wir Grüne kritisch gegenüber Großprojekten sind, ist kein Geheimnis. Besonders wenn es an Geld für den Klimaschutz fehlt. Ich werde aber unsere Positionen zu einzelnen Projekten nicht über die Medien ausrichten.

STANDARD: Wir wollten Sie auch zu Ihrer Haltung zum Bau des Lobautunnels fragen, der ebenfalls Bundessache ist.

Hebein: Dazu muss ich leider die Antwort von vorhin wiederholen.

STANDARD: Wir sollen als Antwort also bringen: "Siehe oben!"

Hebein: So ungefähr.

STANDARD: Wirtschaftsbund-Chef Harald Mahrer hält einen grünen Wirtschaftsminister für "denkunmöglich" – und Sie?

Hebein: Solche Aussagen halte ich für etwas kindisch.

STANDARD: Bei welchem Ressort ist für Sie denkunmöglich, dass es in die Hände von Türkis gerät – ein Klimaschutzministerium?

Hebein: Jetzt muss ich aufpassen, dass ich nicht in diese Falle tappe. Im Ernst: Die Ressortverteilung ist bis jetzt kein Thema.

STANDARD: Nach ihrer jahrelangen Kritik fordert die Wiener Wirtschaftskammer nun mehr Begegnungszonen in der Stadt. Eine türkise Taktik, um in anderen Bereichen Zugeständnisse zu bekommen?

"Vor fünf Jahren gab es noch Kritik an der Mariahilfer Straße. Auch in der Wirtschaft ist man bereit umzudenken."
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Hebein: Dieses Schwarz-Weiß-Denken sehe ich nicht. Demnächst werden wir gemeinsam sogar ein neues Konzept vorlegen, wie wir die Zentren der Stadt aufwerten – etwa in Floridsdorf oder in der Landstraße.

STANDARD: Eine türkis-grüne Zusammenarbeit also?

Hebein: Natürlich freut es uns, dass wir gemeinsam an Begegnungszonen arbeiten. Vor fünf Jahren gab es noch massive Kritik an der Mariahilfer Straße. Dass sich das verändert, zeigt, dass die Klimakrise in der Mitte der Gesellschaft angekommen ist. Es gibt ein Umdenken in der Bevölkerung, nicht nur bei Jugendlichen, die zu Zehntausenden auf die Straßen gehen. Auch in der Wirtschaft ist man bereit, umzudenken und in neue Technologien zu investieren.

STANDARD: Georg Papai, roter Bezirksvorsteher von Floridsdorf, hat seine Forderung nach einem Alkoholverbot auf dem Franz-Jonas-Platz erneuert – was erwidern Sie ihm?

Hebein: Ich habe mit Bürgermeister Michael Ludwig vereinbart, dass es keine weiteren Alkoholverbote geben wird. Wir investieren in soziale Gesundheitsmaßnahmen. Und ich bleibe dabei, dass ich ein Alkoholverbot als kein geeignetes Mittel sehe – das führt nur zu Verdrängung.

STANDARD: Neuerdings gibt es Gerüchte, dass in Wien schon im Frühjahr gewählt wird. Wollen Sie mit der SPÖ von Ludwig weiterkoalieren?

Hebein: Ja. Wir haben seit neun Jahren eine aufrechte, konstruktive Regierung. Es gibt immer so viele Gerüchte. Ich hab eine Vereinbarung mit dem Bürgermeister, dass wir bis zum Schluss für unsere lebenswerteste Stadt der Welt arbeiten – für mich ist sie auch die liebenswerteste. (Nina Weißensteiner, Rosa Winkler-Hermaden, 30.10.2019)