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Das Insektensterben ist ein überregionales Problem, dem mit kleinen Schutzflächen allein nicht beizukommen ist, berichten Forscher.

Foto: Picturedesk/Bernd Wüstneck

Um die Insekten ist es wieder still geworden, dabei hat sich ihre Lage keineswegs verbessert. Forscher gehen davon aus, dass seit etwa 100 Jahren ein großes Insektensterben im Gange ist, in den vergangenen drei Jahrzehnten war der Schwund besonders drastisch. Verantwortlich dafür ist vor allem die industrielle Landwirtschaft: Die Zunahme weitläufiger Monokulturen verändert die Lebensräume der Tiere enorm, auch der großflächige Einsatz von Insektiziden und Stickstoffeinträge über die Luft haben weitreichende Folgen.

In einer neuen Studie haben Forscher erstmals Standardisierte Erhebungen in drei Regionen Deutschlands durchgeführt und liefern konkrete Daten: Sie belegen, dass auf Wiesen in agrarisch intensiv genutzten Gebieten nur noch ein Drittel der Insektenbiomasse des Jahres 2008 zu finden ist. Die Entwicklung greift auch auf nahegelegene kleinere Naturschutzgebiete über, und auch in Waldgebieten ist ein deutlicher Schwund zu verzeichnen.

Kollabierende Netzwerke

Für ihre Studie im Fachblatt "Nature" nahmen die Forscher um Sebastian Seibold von der Technischen Universität München und Jan Habel von der Universität Salzburg insgesamt 300 Wiesen- und Waldflächen in den deutschen Bundesländern Brandenburg, Thüringen und Baden-Württemberg unter die Lupe. Dort sammelten sie zwischen den Jahren 2008 und 2017 mehr als eine Million Insekten, die rund 2700 Arten repräsentierten.

Die Auswertung der jährlichen Sammlungen ergab einen klaren Trend: Für viele Arten waren stetige Rückgänge zu verzeichnen. Insgesamt betrug der Artenschwund über die zehnjährige Beobachtungszeit etwa ein Drittel.

Beim Rückgang der Biomasse gab es deutliche Unterschiede zwischen Wäldern und Wiesen: Während der Biomasserückgang bei Insekten im Wald rund 40 Prozent betrug, lag er im Grünland sogar bei rund zwei Dritteln. Ein so drastisches Ergebnis habe man nicht erwartet, schreiben die Autoren. Es passe aber durchaus ins Bild, das frühere Studien vorgezeichnet hätten.

Besonders betroffen war Grünland mit angrenzenden Ackerflächen. "Das Insektensterben in Mitteleuropa wird hauptsächlich durch die Intensivierung der Landwirtschaft verursacht, der Klimawandel spielt da eine eher untergeordnete Rolle", sagte Habel dem STANDARD. Auf lokaler Ebene sei der Rückgang an Biomasse ein größeres Problem als der Artenschwund, so der Forscher: "Das kann sich sehr negativ auf Nahrungsnetze auswirken."

Größere Schutzflächen

Vögel etwa seien auf Insekten angewiesen, und wenn die Biomasse abnimmt, könnten letztlich ganze Ökosysteme zusammenbrechen. Alarmierend ist für Habel auch ein weiterer Aspekt der Studie: "Wir haben Standardisierte Flächen untersucht, deren Größen und Bewirtschaftung sich im Untersuchungszeitraum nicht verändert haben. Da wurde immer gleich gearbeitet – und dennoch gibt es diesen Rückgang. Das bedeutet: Der Verlust von Insektenarten und Biomasse ist kein lokales Problem, sondern spielt sich überregional ab."

Zentral dafür sind dem Forscher zufolge drei Faktoren: die zunehmende Gleichförmigkeit der Landschaft, der Pestizideinsatz und der Stickstoff aus Düngemitteln, Viehwirtschaft und Verkehr. Das betreffe in zunehmendem Maße nicht nur die bewirtschafteten Flächen, sondern auch Naturschutzgebiete.

Isolierte, kleine Schutzbereiche könnten dem Insektensterben daher langfristig kaum Einhalt gebieten: Solche Inseln könnten die Artenvielfalt nicht dauerhaft erhalten, die Insektenbiomasse schon gar nicht, so Habel. "Man könnte sagen, der Zustand unserer Landschaft ist heute in einer sehr schlechten Verfassung, aber das lässt sich auch ändern." Die wirksamsten Maßnahmen wären eine umweltverträglichere Landwirtschaft mit geringerem, gezielterem Pestizideinsatz und größere naturnahe Flächen. (David Rennert, 30.10.2019)