Die Nachrichten der vergangenen Tage rund um Juul, den Hersteller von E-Zigaretten, und Wework stellen den aktuellen Höhepunkt einer Reihe von Negativschlagzeilen über massiv gehypte Start-ups dar. Selbst Anleger stellen mittlerweile infrage, inwieweit das Silicon-Valley-Ethos, bestehende Industrien auszuhebeln und ein rasantes Wachstum zu verfolgen, noch erfolgversprechend ist. Diesen jungen Firmen wie etwa auch Uber und anderen gelang es, Milliarden Dollar mit ihren Ideen zu lukrieren, die die Zukunft verändern sollten – wie wir arbeiten, was wir rauchen und wie wir uns fortbewegen.

Mit horrendem privatem Kapital ausgestattet, gelang es all diesen Unternehmen rapide, Marktanteile zu gewinnen und ihre neu geschaffenen Nischen zu dominieren. Jedoch zeigt sich nun, dass sich diese Start-ups zunehmend in Konflikten mit Behörden verheddern, sich in selbstherbeigeführte Krisen verstricken und nicht zuletzt ihre eigenen Anleger mit fragwürdigen Führungsmethoden überraschen. Es scheint, als sei das alte Facebook-Mantra "Schnell handeln und Dinge brechen" keine so verlässliche Formel mehr für den langfristigen Erfolg.

Juul wurde 2015 in San Francisco gegründet und hat sich in kürzester Zeit zum sechstgrößten US-Start-up hinter Uber und Airbnb entwickelt. In weniger als drei Jahren gelang es dem gerade einmal 1500 Personen kleinen Unternehmen, mehr als 14 Milliarden Dollar einzusammeln und durch den Einstieg des Tabakgiganten Altria eine Bewertung von rund 38 Milliarden Dollar zu generieren. Im selben Zeitraum wuchs der Marktanteil des Unternehmens in den USA auf etwas mehr als 70 Prozent.

Ende des Erfolgskurses

Dem Erfolgskurs wurde ein jähes Ende bereitet. US-Gesundheitsbehörden wollen den Verkauf von E-Zigaretten und ähnlichen Produkten gesetzlich stoppen. Eine Studie der Stanford University stellte fest, dass Juul seine Produkte bei Jugendlichen gezielt über soziale Medien platzierte und Marketingmethoden verwendete, wie sie etwa zur Etablierung der Kultmarke Marlboro eingesetzt wurden.

Heute sind derartige Vorgehensweisen für Tabakwaren verboten, nicht jedoch für die Vermarktung von E-Zigaretten. Schließlich stellte sich auch heraus, dass Juul keine Kenntnis über die negativen Auswirkungen seines Produkts hatte. Rasch wurden die medial hochgejubelten Gründer mit exorbitanten Abfindungen ihres Amtes enthoben und durch anonyme Manager ersetzt, um dann sogleich neue Märkte zu erobern, eben dort, wo es noch keine gesetzlichen Bestimmungen gibt.

Im Herbst sollte bei Wework der Schritt an die Börse gemacht werden. Fragwürdige Geschäftspraktiken verhinderten das.
Foto: imago images/Levine-Roberts

Das gleiche Muster finden wir bei Wework. Ansässig in New York, vermietet Wework weltweit Büroflächen an Klein- und Kleinstunternehmen. Erst 2010 gegründet, wuchs das Unternehmen unter der charismatischen Führung des Mitgründers Adam Neumann zum höchstbewerteten privaten Technologiekonzern der USA mit einem Wert von 47 Milliarden Dollar. Für den Herbst dieses Jahres war der Schritt an die Börse geplant. Fragwürdige Geschäftspraktiken des Gründers haben jedoch den Börsengang vereitelt.

Erst durch eine Finanzspritze der japanischen Softbank von mehr als zehn Milliarden Dollar (neun Milliarden Euro) konnte das Unternehmen gerettet werden. Die Beteilung der Bank wurde damit von rund einem Drittel auf 80 Prozent aufgestockt. Der ehemalige Gründer wurde mit einer der höchsten jemals ausbezahlten Abfindungen, laut New York Times 185 Millionen Dollar, seiner Funktion als Geschäftsführer enthoben. Was war passiert?

Folgen für die Gesellschaft

Diametral zu den immer höher werdenden Verlusten, die sich jedes Jahr nahezu verdoppelten und im Jahr 2018 bereits über 1,6 Milliarden Dollar betrugen, erodierte gleichsam der mögliche Rahmen für eine Kontrolle des Unternehmens zum Wohlwollen aller relevanten Anteilseigner. Ausgestattet mit einem 20-fachen Stimmrecht pro Aktie, waren dem Gründer keine Hände gebunden, fragwürdige Geschäfte mit sich selbst als Person zu führen, wie etwa die Verpachtung privater Liegenschaften an das Unternehmen, die wiederum über Kredite aus dem Unternehmen finanziert wurden, oder die Forderung einer Lizenzzahlung für den in seinem Besitz befindlichen Markennamen "We". Außerdem hievte er seine Frau in den Aufsichtsrat und stattete sie mit Vollmachten aus, um im Fall seines Ablebens alleine die Nachfolge bestimmen zu können, und so weiter.

Wie ist es zu erklären, dass Start-ups derart unbehelligt und zum Schaden vieler agieren können, und was bedeutet das für die Gesellschaft? Ein zentraler Grund dafür ist in der großen Kapitalausstattung der noch jungen Unternehmen zu finden – ein Phänomen, dessen Anfänge in das Jahr 1995 zurückreichen. Damals ging ein erst 16 Monate altes Silicon-Valley-Start-up namens Netscape an die Börse. Das siebenköpfige Team hatte einen Umsatz von 17 Millionen Dollar erwirtschaftet, wurde aber am Ende des Börsengangs mit 2,1 Milliarden Dollar bewertet.

Netscape war gewissermaßen der Vorläufer der heutigen Technologiekonzerne, die in der Lage sind, menschliche Tätigkeiten durch Technologie zu ersetzen und dadurch ein schnelles Wachstum als auch übergroße Gewinnspannen zu erzielen. In der Old Economy sind derartige Gewinne nicht mehr zu erzielen.

Oberhand über Anleger

Befeuert durch die niedrige Zinslandschaft als auch den Erfolg von gründergeführten Unternehmen wie Facebook und Amazon haben Start-ups letztendlich eine beispiellose Oberhand über ihre Anleger erhalten. Insbesondere bei über lange Zeit privat gehaltenen Start-ups gilt: Wer an Deals teilhaben möchte, muss gut mitspielen.

In einem derartigen Umfeld ist klar, dass die Gründer die Regeln festlegen und damit Agenden der Corporate Governance verblassen. Für die Vitalität demokratischer Gesellschaften ist die Existenz großer privater Machtzentren folglich gefährlich. Wollen wir diese erhalten, dann wird es nicht ausbleiben können, dass wir Fähigkeiten für das frühe Erkennen dieser entwickeln und Prozesse der öffentlichen Aufsicht und Regulierung entfalten. (Michael Shamiyeh, 6.11.2019)