Heißer Scheiß aus Berlin

Ein Magazin? Ein Modelabel? Eine Eventagentur? Oder doch ein Kuratorenteam? Maria und Jörg Koch von 032c machen alles – ohne dass es peinlich wird. Sie geben ein Magazin heraus, führen ein Streetwearlabel, schmeißen Partys. Zuletzt hat Jörg Koch in der Wiener Galerie Krone eine Ausstellung kuratiert. Das Ehepaar führt vor, wie man von der deutschen Hauptstadt aus ein international relevantes Netzwerk aufbaut.

Mehr als nur Mode: 032c.
Foto: O32c

Eine ähnlich erfolgreiche Cliquenwirtschaft: das Berliner Designkollektiv GmbH um den Designer Serhat Isik und den Fotografen Benjamin Alexander Huseby. Benannt hat man sich nach dem "Inbegriff deutscher Bürokratie", die Mode des Labels ist aber alles andere als das. GmbH verwendet recycelte Stoffe und verzichtet auf tierische Produkte – ohne dabei in die Ökofalle zu tappen. Dann wäre da noch das Label Namilia, das Stars wie Rita Ora in seine Teile mit BDSM-Anleihen verpackt. Oder Modedesigner William Fan, Sohn Hongkong-chinesischer Einwanderer. Er gehört zu den wenigen verlässlichen Highlights der kränkelnden Berliner Modewoche.

GmbH verzichtet auf tierische Produkte und verwendet recycelte Stoffe.
Foto: GmbH via Farfetch

Starke Gestalter

Und was tut sich außerhalb der Hauptstadt? Ausgerechnet in Offenbach, dem schiachen Vorort der Bankenmetropole Frankfurt, befindet sich das Studio von Sebastian Herkner. Der Industriedesigner und ausgebildete Tischler, Anfang dieses Jahres von der Pariser Fachmesse Maison & Objet als Designer des Jahres ausgezeichnet, hat ein Faible fürs Handwerk. Bestes Beispiel: Herkners Version des Frankfurter Stuhls 118 von Thonet. Er ergänzte den klassischen Holzstuhl mit einer in Handarbeit gespannten Sitzfläche aus Rohrgeflecht. Noch so ein Überflieger der Designbranche: der Münchner Stefan Diez, seit vergangenem Jahr Professor an der Wiener Angewandten. Der deutsche Designer verbindet Handwerkliches mit neuen Technologien. Zur neuen Generation gehört Hanne Willmann, Anfang 30 und seit vergangenem Jahr Kreativdirektorin beim renommierten Möbelunternehmen Interlübke. Ihre Handschrift: reduziert mit minimalen Spielereien.

Unkaputtbare Klassiker

Trotz allem behaupten böse Zungen nach wie vor, das Designbewusstsein der Bundesdeutschen reiche über die praktischen Funktionsjacken von Jack Wolfskin, der Lehrer-Uniform von Stuttgart bis Leipzig, nicht hinaus. Bitte tief Luft holen: Ganz so schlimm steht es um den Geschmack des liebsten Nachbarn nicht. Funktionale Klassiker, erdacht in Germany, gelten etwas. Das hat sich heuer anlässlich der Feierlichkeiten zu 100 Jahre Bauhaus gezeigt.

Foto: imago images / Christian Schroed

Die Kunstschule schaffte es nicht nur mit einem TV-Liebesreigen (Hauptrolle: Anna Maria Mühe als Bauhäuslerin) ins ZDF-Abendprogramm, auch die Auslandspresse verbeugte sich mit Artikeln wie "shop the Bauhaus-look". Das in Rheinland-Pfalz ansässige Unternehmen Birkenstock lässt das Korkfußbett mit der Hilfe von Modemachern wie Valentino-Designer Pierpaolo Piccioli ziemlich international aussehen.

Foto: Birkenstock

Deutsche mit Humor

Das Klischee der unlustigen Deutschen hält sich hartnäckig, dürfte mit der aktuellen Generation an Entertainern und Satirikern aber an Gehalt verlieren. Jan Böhmermann hat sich durch diverse Aktionen (mit Erdogan-Gedicht, Varoufakis-Fake, SPD-Kandidatur) einen internationalen Ruf erarbeitet, im aktuellen Musikvideo Herz und Faust und Zwinkerzwinker lässt er H.-C. Strache als Marmorstatue auferstehen. Sophie Passmann sorgte nicht nur mit ihrem Buch über Alte weiße Männer für Aufsehen, sie ist auch Kolumnistin im Zeit-Magazin und echauffiert sich im Podcast Die Schaulustigen über das deutsche Fernsehen.

Sophie Passmann sorgt nicht nur mit "Alte weiße Männer" für Aufregung.
Foto: Sophie Passmann/Anja Caspari

Die Autorin Kathrin Wessling hat im vergangenen Jahr mit Super, und Dir das Buch für eine Generation, der Selbstinszenierung auf Social Media und Stress im Job zusetzen, geschrieben. Vor kurzem machte Wessling auf Instagram publik, dass sie den Abgabetermin für ihr neues Buch (Nix passiert) nicht einhalten kann.

Autorin Kathrin Wessling
Foto: Melanie Hauke

Die Community applaudierte, Schwäche zeigen ist ganz groß auf Instagram. Lars Eidinger war jahrelang Ensemblemitglied der Berliner Schaubühne (Hamlet), ist heute aber mehr als nur Schauspieler: Gast auf Fashion-Shows, Teil von Musikvideos (Deichkind und Yung Hurn), DJ, Instagram-Star. An der Wiener Burg auf dem Weg zur großen Theaterkarriere: der Leipziger Jungstar Franz Pätzold.

Lars Eidinger ist mehr als nur Schauspieler.
Foto: APA/AFP/FRANCOIS GUILLOT

Made in Germany

Made in Germany: Was als Schutz vor vermeintlich billiger Importware in Großbritannien begann, entwickelte sich zum Gütesiegel für Qualitätsware aus Deutschland. Der Tatort ist so ein Beispiel. 2018 hatte der Krimi durchschnittlich acht (!) Millionen Zuschauer, selbst in Wien zelebrieren Piefkes im Exil seit Jahren am Sonntagabend das "Tatort Public Viewing". Aber nicht alles bleibt beim Alten. Die Bild, das Must-have des deutschen Mallorca-Urlaubers, war lange die auflagenstärkste Tageszeitung Europas.

Lange Zeit war die Bild auflagenstärkste Tageszeitung Europas.
Foto: imago stock&people

Doch nicht nur des Deutschen liebste Insel hat Probleme (die Touristen, die Müllberge), auch die Bild musste seit 1998 über 60 Prozent der Auflage einbüßen. Und dann war da ja noch was: Der Spiegel hat seit dem Skandal um den fantasiebegabten Starschreiber Claas Relotius ein Glaubwürdigkeitsproblem. Auch tragisch: Der Diesel-Skandal patzte den vierrädrigen Liebling der Deutschen mit dem Autofimmel an.

Ewige Party-Hauptstadt

Jedes Wochenende dasselbe Spiel: Heerscharen an Party-Expats und Touristen stürmen das Berghain oder die Griessmühle, die Trauma Bar (das "neue Berghain"), das Ohm an der Köpenicker Straße oder das Arkaoda in Neukölln, ein Ableger der gleichnamigen Location in Istanbul. Seit dem Mauerfall ist die deutsche Hauptstadt Berlin der Wallfahrtsort für DJs und Feierwütige. Die Stimmung hat sich allerdings gewandelt. Während sich die einen über die nach wie vor vergleichsweise billigen Eintrittspreise freuen, schimpfen die anderen über die Verballermannisierung von Berlin. Immerhin: Dass die Clubkultur kein unbedeutender Wirtschaftsfaktor ist, hat eben erst eine Studie belegt. Darin wurde festgestellt: 2017 hat die Clubszene 168 Millionen Euro umgesetzt und 9.000 Menschen beschäftigt. Nur um eines kämpfen die Clubs noch immer: um die Anerkennung als Kulturbetriebe. (Anne Feldkamp, Thorben Pollerhof, 4.11.2019)