Masern sind laut neuen Untersuchungen sehr viel gefährlicher als angenommen. Umso wichtiger ist es, dass Eltern ihre Kinder gegen die Krankheit immunisieren lassen.

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Vor der Entwicklung des Masernimpfstoffs und dessen 1963 erfolgter Einführung hatte fast jedes Kind eine Maserninfektion. Die Impfung trug dazu bei, dass die Zahl der Masernfälle zwischen dem Jahr 2000 und 2017 um 80 Prozent gesunken ist, was schätzungsweise rund 21 Millionen Menschenleben rettete. Doch noch immer sterben rund 100.000 Menschen weltweit an der Infektionskrankheit.

Eine Maserninfektion ist nämlich – im Gegensatz zu den medizinisch unhaltbaren Behauptungen von Impfgegnern – alles andere als harmlos: Gefährlich werden Maserninfektionen nicht nur durch auftretende Komplikationen wie zum Beispiel Lungenentzündungen oder dann, wenn die Viren auf Gehirn oder Hirnhäute übergreifen.

Wie zwei am Donnerstag veröffentlichte Studien zeigen, wird durch Maserninfektionen auch die Immunabwehr gegen viele andere Infektionen stark und anhaltend geschwächt. Das Argument von Impfgegnern, dass es besser schützt, eine Krankheit selbst durchzumachen, als eine Impfung zu bekommen, ist also noch irriger als bisher angenommen – und im schlimmsten Fall lebensbedrohlich.

Verlorenes Immungedächtnis

Um die Auswirkungen einer Masernimpfung noch besser abschätzen zu können als bisher, untersuchte eine Forschergruppe um Michael Mina und Stephen Elledge (Brigham and Women's Hospital und Howard Hughes Medical Institute, Boston) Blutproben von 77 ungeimpften niederländischen Kindern im Alter von vier bis 17 Jahren vor einer Maserninfektion und dann zwei Monate danach.

Mina hatte bereits 2015 mit Kollegen argumentiert, dass Masern das Immunsystem infizierter Menschen für zwei bis drei Jahre beeinträchtigen dürften und sie so anfällig für andere Krankheiten machen würden. Der Grund dafür sei, dass Masern eine Art "Immunamnesie" verursachen könnten: Der Körper "vergisst" demnach die Krankheitserreger, die er eigentlich bereits kennt und gegen die er eine Immunabwehr besitzt.

Neue Technologie

Für ihre neue Studie im Fachmagazin "Science" wollte das Team um Mina und Elledge den experimentellen Beweis für die These antreten. Sie nützten dafür eine neue Diagnosetechnologie namens VirScan, die Antikörper im Blut analysiert – also jene Blutproteine, die sich an einen vergangenen Virusbefall erinnern und dem Körper helfen, Wiederholungsinfektionen zu vermeiden.

Das Ergebnis der mittels VirScan ausgewerteten Blutproben war einigermaßen dramatisch: Zwei Monate nach einer Maserninfektion war die Vielfalt des Antikörperarsenals zur Immunabwehr um elf bis 73 Prozent reduziert.

Vergleichsstudie mit Makaken

Um die Ergebnisse abzusichern, wiederholten die Forscher das Experiment mit vier Makaken. In deren Fall wurden Bluttests aber erst bis zu fünf Monate nach der Infektion gemacht. Die Ergebnisse waren noch eindeutiger: Die Affen hatten im Durchschnitt 40 bis 60 Prozent der Antikörper eingebüßt.

Die Forscher vermuten, dass sie bei den Kindern auf ähnlich hoche Zahlen gekommen wären, wenn sie die Tests später angesetzt hätten. Denn es braucht einige Wochen, bis die Antikörper verschwinden.

Eine andere Gruppe um Velislava Petrova (Wellcome Sanger Institute in Cambridge) untersuchte ebenfalls die Blutproben der niederländischen Kinder nach der Maserninfektion. In diesem Fall nahmen die Wissenschafter aber die Antikörper unter die Lupe, die von den sogenannten B-Lymphozyten gebildet werden. Wie Petrova und ihr Team in "Science Immunology" schreibt, kam es durch die Maserninfektion auch zu einem Rückgang der B-Lymphozyten – und entsprechend auch der von ihnen gebildeten Antikörper. Auch deren Produktion im Knochenmark wurde reduziert.

Die Schlüsse der Forscher sind eindeutig: Das Masernvirus ist erstens viel schädlicher als gedacht, was zweitens bedeutet, dass die Immunisierung dagegen umso wichtiger ist, wie Ko-Autor Stephen Elledge betont. Angesichts der grassierenden Impfskepsis – allein in den ersten drei Monaten 2019 sind laut WHO um 300 Prozent mehr Kinder an Masern erkrankt als im Vergleichszeitraum im Jahr davor – hat Elledge einen dringenden Appell an alle Eltern: "Lassen Sie Ihre Kinder impfen!" (tasch, 1.11.2019)