Ein peruanischer Militärhubschrauber fliegt über Koka-Plantagen im Amazonas-Gebiet, die zerstört werden.

Foto: APA/AFP/Peruvian Ministry of Defense

Roberto Simarra ist ein ruhiger Mann mit kräftigen Händen und wettergegerbter Haut. Einer, der zupackt, ohne lang zu fragen, sich aber nie in den Vordergrund drängt. Erst wenn er darauf angesprochen wird, fängt er an zu erzählen. Es ist eine anrührende Geschichte, die zeigt, dass noch nicht alles verloren ist – obwohl Großkapitalisten im Bunde mit profitgierigen Politikern jetzt zur Großoffensive auf den größten Regenwald der Welt blasen und die Bagger tiefe Schneisen hinterlassen.

Simarra war bitterarm. Ein junger Mann aus den Anden, der nicht einmal die Grundschule abgeschlossen hatte. Vor mehr als einem Jahrzehnt kam er nach Caballococha, einer Kleinstadt am Amazonas-Fluss im östlichsten Zipfel Perus. Keine Straße führt hierher, die Bootsfahrt in die nächstgrößere Stadt Iquitos dauert einen Tag und eine Nacht.

Kokain-Boom in Grenzregion

Simarra kam wegen der Koka. Der Strauch, aus dessen Blätter Kokain gewonnen wird, boomte in dieser abgelegenen Grenzregion zwischen Peru, Kolumbien und Brasilien. Die kolumbianische Guerilla organisierte das Geschäft und finanzierte damit ihren Krieg. "Ich hatte meine Koka, und ich arbeitete als Tagelöhner in der Herstellung von Kokapaste. An einem einzigen Tag konnte ich bis zu hundert Euro verdienen", erzählt Simarra. Es war ein Leben in Saus und Braus: Alkohol, Frauen, Mobiltelefone, Fernseher. Er gab das Geld so schnell aus, wie er es einnahm. "Der Wald war mir total egal, ich konnte ihn nicht schnell genug abholzen, um immer mehr Koka anzubauen", schildert er seinen grünen Rausch.

Dann kam der Friedensvertrag in Kolumbien; die Farc legten offiziell die Waffen nieder. Doch besonders in Gegenden, aus denen sich die Guerilla zurückgezogen hat, der Staat aber noch nicht angekommen ist, bleibt es gefährlich: Kriminelle und Guerilla-Abtrünnige füllen ein Vakuum. Erst vor wenigen Tagen wurden bei einer Kontrolle im südwestlichen Department Cauca fünf Indigene getötet. Präsident Iván Duque will nun 2500 Soldaten in das Gebiet schicken.

"Ich stand vor dem Nichts"

In Peru schickte der Staat ebenfalls das Militär, um die Drogenhändler festzunehmen und die Drogenplantagen zu vernichten. "An einem Morgen war alles aus. Das Militär besprühte meine Pflanzen mit Glyphosat, und ich stand vor dem Nichts", erzählt Simarra. Einige Nachbarn gingen zurück in ihre Andendörfer – mehr oder weniger genauso arm wie zuvor. Andere versteckten ihre Felder nur noch tiefer im Regenwald. Simarra ging einen anderen Weg. Er nützte die Chance und schrieb sich im Substitutionsprogramm der Anti-Drogen-Behörde ein. Er wurde Kakaobauer. "Ich hatte davon keine Ahnung, aber was tut man nicht alles in seiner Verzweiflung." Vom Staat gab es die Pflanzen gratis, einen Lehrgang und eine Anschubfinanzierung. Simarra fing Feuer. "Ich begann, den Wald zu lieben und zu verstehen. Ich wurde ausgeglichener. Das tat auch dem Familienleben gut", erzählt er.

Heute ist er einer von 40 Bauern einer Kooperative. Sie sind Teilhaber und Lieferanten einer kleinen Schokoladenfabrik in Caballococha, die von der Europäischen Union finanziert wurde. "Tikuna" heißt die Marke nach dem dort ansässigen indigenen Stamm.

Zeit läuft davon

Die kräftige Schokolade ist ein Renner. Simarra fürchtet nur eines: Die Finanzierung der EU läuft dieses Jahr aus, und dann will auch der peruanische Staat die Ingenieure abziehen. "Wir Bauern können zwar guten Kakao produzieren, aber von Buchhaltung und Marketing haben wir keine Ahnung", sagt er.

Hinzu kommt das Problem der Logistik und des Transports. Eine seiner Töchter studiert Marketing, ein Sohn eines Kollegen hospitiert gerade als Techniker. Doch die Zeit läuft den Bauern davon. "Ich hoffe, die in Brüssel und Lima geben uns noch ein wenig Zeit", sagt er. An mangelnder Ausdauer und Weitsicht ist schon manches Projekt zum Erhalt des Amazonas-Regenwalds gescheitert. (Sandra Weiss aus Caballococha, 2.11.2019)