Kabelsalat vom Feinsten. Frankfurt ist der größte Internetknoten der Welt.

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Es hat die Anmutung eines Gefängnisses für Schwerverbrecher, vergleichbar mit der Justizanstalt Stein bei Krems oder mit Graz-Karlau. Ein mehrere Fußballfelder großes Areal, umgeben von industriellem Sicherheitszaun, bewehrt mit hautschneidenden Klingendrahtrollen, scharfgestellte Videokameras allüberall. Bei Interxion in Frankfurt am Main werden keine gefährlichen Personen am Ausbruch gehindert, hier werden Daten vor potenziellen Angreifern nicht nur virtuell, sondern auch physisch geschützt.

Interxion (ausgesprochen Interäkschn) betreibt Rechenzentren in ganz Europa – Rechenzentren, derer sich wiederum der DE-CIX bedient. Der Deutsche Commercial Internet Exchange, wie der DE-CIX ausgeschrieben heißt, ist der größte Internetknoten der Welt. "Wenn sie in Österreich beispielsweise eine Hose bei Amazon bestellen oder bei Aliexpress ein Paar Schuhe, anschließend ein Youtube-Video hochladen und sich später eventuell noch eine Netflix-Serie reinziehen oder einfach eine Mail- oder Facebook-Nachricht verschicken, ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass die Daten bei uns durchrauschen."

Öffnung des Telekommarktes war Treiber

Der das sagt heißt Thomas King und ist Chief Technology Officer bei DE-CIX. Der gebürtige Deutsche dockte 2008 beim Frankfurter Internetknoten an, der dem Verband der Internetwirtschaft Eco mit Mitgliedern wie der Deutschen Telekom, Google oder Ebay gehört. Seit vergangenem Jahr ist er Technik-Vorstand des 1995 an den Start gegangenen DE-CIX.

Internetknoten, an denen Datenströme aus einer Richtung kommend in eine andere umgeleitet werden, gibt es zuhauf. Nirgendwo sonst aber laufen so viele Glasfaserkabel zusammen wie in Frankfurt, nirgendwo sonst ist auch der Datendurchsatz so groß.

Stadt Frankfurt hatte offene Ohren

Das eine, nämlich das im Boden vergrabene Glasfasernetz, hat mit der Öffnung der Telekommunikationsmärkte zu tun. Alle möglichen Unternehmen fingen nach dem Wegfall des Monopols der Deutschen Telekom an, Glasfaserpläne zu wälzen. Diese stießen in der Stadtverwaltung von Frankfurt auf offene Ohren, wie sich Oliver Schwebel, Geschäftsführer der Frankfurter Wirtschaftsförderung, ein gutes Vierteljahrhundert später erinnert. Und so kommt es, dass gerade entlang der Hanauer Landstraße, in deren unmittelbarer Nähe sich in den vergangenen 20 Jahren neben Interxion noch diverse andere Betreiber von Rechenzentren angesiedelt haben, das Geflecht an verlegten Glasfasern besonders stark und dicht ist.

Das andere, das mit dem Datendurchsatz, hat mit dem DE-CIX zu tun und mit dem exponentiell steigenden Datenaufkommen, das durch die private und nun zunehmend auch industrielle Nutzung des Internets bedingt ist. "Als der DE-CIX Mitte der 1990er gestartet wurde, ist das Internet eben erst im privaten Umfeld angekommen, allerdings mit stark nach oben weisenden Wachstumsraten", erinnert sich King. "Wir waren zur richtigen Zeit am richtigen Ort." Im Gegensatz zu den altbewährten Kupferkabeln kann durch die Glasfaserkabel ein Vielfaches an Daten gejagt werden. Durch das Voranschreiten der Digitalisierung bis hin zum autonomen Fahren sei ein Ende der Entwicklung nicht absehbar.

7,8 Terabit Datendurchsatz pro Sekunde – Rekord

"Vor gut drei Wochen haben wir beim Datendurchsatz einen Peak von 7,8 Terabit verzeichnet", sagt Obertechniker King. "Noch heuer werden wir eine neue Spitze mit acht Terabit sehen, 2020 dann wahrscheinlich die Marke von zehn Terabit knacken." Das werde typischerweise wohl wieder an einem Sonntagabend im Herbst sein, wenn viele Menschen zu Hause sind und mit ihren mobilen Geräten spielen.

Welche Datenmenge sich hinter den weitgehend abstrakten Zahlen verbirgt, zeigt ein Vergleich, der anlässlich der vorjährigen Spitze von knapp sieben Terabit pro Sekunde angestellt wurde. Diese Datenmenge entspricht 1,2 Millionen hochaufgelösten Videofilmen, die alle gleichzeitig laufen. Bald schon wird es ein Datenstrom sein, der in etwa zwei Millionen Full-HD-Videos entspricht beziehungsweise einem Stapel voll beschriebener Papierseiten, an die 200 Kilometer hoch.

Daten kommen von überall her

Und woher kommen die Nullen und Einsen, die auf dem Frankfurter Datenkreuz umgelenkt werden? Von überall her. Aus Russland genauso wie aus dem fernen China oder Indien, die wie die Datenströme aus Afrika per Seekabel nahe Marseille anlanden. Das ist auch der Grund, warum der DE-CIX ebendort einen der 18 Internetaustauschknoten betreibt, die das Unternehmen insgesamt hat. Aus Amerika kommen die Daten über ein Unterwasserkabel an der Küste Belgiens an Land. Von dort flitzen sie in Lichtgeschwindigkeit nach Frankfurt und weiter zum Bestimmungsort.

"Solange es laut ist, läuft alles gut", sagt Daniel Melzer, der Technikchef des Internetknotenbetreibers DE-CIX. Laut ist es am Knoten und auch warm, sehr warm. Den Knoten, an dem Leitungen aus aller Welt zusammenlaufen, bilden 15 über die Stadt Frankfurt verteilte Rechenzentren, die alle miteinander verbunden und redundant sind. Fällt das eine aus, springt ein anderes ein. Auf den Dächern sind Dieselgeneratoren montiert, die bei einem Stromausfall einspringen. Als Zwischenpuffer dienen Batterien. Was ist der Vorteil des DE-CIX? King: "Bei weltweit 65.000 Netzen müsste man zu allen ein Kabel legen, der Aufwand wäre enorm. So aber genügt es, ein Kabel zu uns zu legen, wir verknüpfen den Rest."

Geheimdienst hört mit

Das hat nicht zuletzt auch die Geheimdienste auf den Plan gerufen. Seit Jahren ist der BND, der deutsche Auslandsgeheimdienst, hier aktiv. Erst im Vorjahr wurde bekannt, dass dieser am Knoten Frankfurt ein sogenanntes Y-Stück eingebaut hat, eine Abzweigung. Mithilfe eines Prismas werden die durchgeleiteten Lichtwellen, die die Daten transportieren, gebrochen und in ein Glasfaserkabel des BND gelenkt. Der Geheimdienst kommt so zu einer ungefilterten, vollständigen Kopie. Daten sollen auch an die amerikanische NSA gegangen sein. Der DE-CIX hat gegen diese Praxis geklagt, ein Urteil steht noch aus.

Bei Interxion hat sich der DE-CIX in drei Rechenzentren eingemietet. Unzählige Computer stehen gestapelt übereinander und nebeneinander, nur getrennt durch einzelne Racks. Die Rechner selbst sind verbunden mit einer Vielzahl gelber Kabel. Durch Schlitze im Boden wird Frischluft zur Kühlung der Geräte angesaugt, die pro Schaltkasten bis zu einer Million Euro kosten. Hinter den Racks, wo die Abluft rauskommt, ist es genauso laut, die Temperatur ist aber um einige Grad höher. Wird es den Geräten zu heiß, laufen sie automatisch langsamer. "Selbstschutz", sagt Technikchef Melzer.

Die Reise nach Frankfurt erfolgte auf Einladung der Energie AG Oberösterreich.

(Günther Strobl, 2.11.2019)