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Die USA veröffentlichten Videosequenzen vom Versteck Baghdadis. Dieses Bild soll kurz vor dem Beschuss entstanden sein.

Foto: Reuters/Department of Defense via Reuters

Fünf Tage nach dem Ende seines seit 2017 im Untergrund lebenden Führers Abu Bakr al-Baghdadi hat sich der "Islamische Staat" am Donnerstag ganz zeitgemäß via Nachrichtendienst Telegram zu Wort gemeldet. Gespickt mit Drohungen gegen die USA und Häme über Präsident Donald Trump wurde der Tod Baghdadis bestätigt und sein Nachfolger verkündet: und zwar nicht nur als Kommandant, sondern auch als "Prinz der Gläubigen" und sogenannter Kalif.

Und hier wird es etwas kurios: Denn die Anhänger und Anhängerinnen des IS weltweit sollen nun jemandem Gefolgschaft leisten, von dem sie nicht wissen, wer er ist. Verkündet wurde ein gewisser Abu Ibrahim al-Hashimi al-Quraishi, ein Name, der auch gute IS-Kenner erst einmal eher ratlos zurücklässt. Die einzige Botschaft, die im Namen enthalten ist: Er soll zumindest weitläufig aus dem Stamm Quraish stammen, jenem des Propheten Mohammed, und da aus der engeren Familie Hashim (Haschemiten).

Auch Abu Bakr al-Baghdadi war ein Aliasname, der IS-Chef hieß eigentlich Ibrahim Awad al-Badri. Es wäre durchaus zu erwarten, dass auch sein Nachfolger einen Nom de Guerre führt. Aber die biografischen Details Baghdadis waren stets bekannt, man wusste, wer und woher er ist.

Sicherheitsgründe

Es ist möglich, dass sich der IS im Moment aus Sicherheitsgründen bedeckt hält, aber früher oder später wird er mit der Identität des Neuen herausrücken müssen. Ein Kalif im Schatten wird in einer Organisation, die in einer Periode der Schwäche zerfallsgefährdet ist, nicht auf Dauer funktionieren.

Wie um seine volle Operationsfähigkeit beweisen zu wollen, gab der IS in seinem siebenminütigen Audio bekannt, dass die "Shura", die Ratsversammlung, zusammengetreten sei und den Nachfolger bestimmt habe. Die Shura sei dabei einer früheren "Empfehlung" Baghdadis gefolgt. Auch damit soll wohl gezeigt werden, dass die IS-Bürokratie weiterhin ganz normal funktioniert. Es folgen die Drohungen: "Frohlocke nicht, Amerika! Der neue Erwählte wird dich allen früheren Horror vergessen lassen, die Tage Baghdadis werden euch im Nachhinein süß vorkommen." Trump wird als "verrückter alter Mann" bezeichnet.

In den Tagen zuvor war ein anderer Name als möglicher Nachfolger des toten Baghdadi genannt worden, Abdullah Qardash. Seine Ernennung zu Baghdadis Stellvertreter hatte im vergangenen August die IS-Nachrichtenagentur Amaq gemeldet. Auch wenn es die meisten Experten für unwahrscheinlich halten, ist es nicht völlig ausgeschlossen, dass Abdullah Qardash und Abu Ibrahim al-Hashimi al-Quraishi ein und dieselbe Person sind.

Auch von Qardash wurde behauptet, dass er vom Stamm Quraish abstammt – was bemerkenswert ist, denn er ist ein irakischer Turkmene aus Tal Afar. Vielleicht will man mit dem neutralen arabischen Namen den türkischen Hintergrund vergessen machen. Allerdings erklärt das nicht das "Abu Ibrahim" im Namen, vielmehr war Qardash auch als Abu Omar al-Turkmani bekannt.

Abstammung von Mohammed

Etliche arabische Stämme beziehen sich auf eine Linie zu den Quraish, besonders im Irak wird diese Behauptung etwas inflationär gehandhabt: Sogar Saddam Hussein wollte vom Propheten Mohammed abstammen. Der neue IS-Sprecher, der auf dem Band sprach – der alte, Abu Hassan al-Muhajir, wurde ja ebenfalls getötet – nennt sich ebenfalls Quraishi, Abu Hamza. Baghdadi führte zwar die Quraish nicht im Namen, sein Stamm Al Bu Badr führt ihre Herkunft aber ebenfalls auf sie zurück.

Der Hintergrund ist die Legitimation eines Kalifen: Zwar war der sunnitische Ansatz nach dem Tod des Propheten Mohammed im Jahr 632, der ohne männlichen Erben starb, dass der "Fähigste" die islamische Gemeinschaft führen soll. De facto landete das Amt jedoch im Stamm Quraish, von dem sich zuerst die Dynastie der Umayyaden, danach die der Abbasiden herleitete.

Allerdings ließ sich der Osmane Sultan Selim I. 1517 von einem Abbasiden das Amt übertragen. Dass die osmanischen Kalifen keine Quraishis waren, blieb unterschwellig Thema: Und die Briten griffen es auf, als sie im Ersten Weltkrieg die Araber im Hijaz zum Aufstand gegen die Türken aufstachelten und ihnen in Aussicht stellten, dass "ein Araber der richtigen Rasse das Kalifat annehmen" könnte. (Gudrun Harrer, 2.11.2019)