Als die Berliner Mauer fiel, war der ganze "Sowjetblock" nicht zu halten. Wer, wie ich, in den 80er-Jahren viel im damals kommunistischen Osteuropa und der Sowjetunion herumgereist ist, konnte spüren, dass es so in diesen Ländern nicht weitergehen konnte, wollte aber als Skeptiker nicht recht glauben, dass es so schnell gehen würde.

Jedenfalls waren diese Reisen Augenöffner. Dank gebührt übrigens einigen Persönlichkeiten, die höchst interessante Begegnungen ermöglicht haben. Mit Erhard Busek lernte man in Polen Lech Walesa, Adam Michnik und die gesamte kritische katholische Intelligenz kennen; in Slowenien, Kroatien und Serbien die vielfältigsten Akteure von ganz links bis ganz rechts, die alle jedenfalls eines nicht wollten: in Jugoslawien zusammenbleiben. In Ungarn erklärte György Konrád sein Konzept eines friedlichen Mitteleuropa. Dank Karl Schwarzenberg gab es Begegnungen mit Václav Havel, praktisch allen tschechischen Dissidenten und mit dem späteren slowakischen Premier Ján Carnogurský. Am Rande offizieller Besuche österreichischer Notabeln gab es in der Sowjetunion immer wieder geschickt eingefädelte Begegnungen mit dissidenten Größen wie Andrej Sacharow bis zu weniger bekannten Schriftstellern und Journalisten.

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Václav Havel auf einem Wandgemälde in Prag.
Foto: AP/Petr David Josek

Das war der Kontakt mit dem geistigen Widerstand. Der Kontakt mit dem ganz normalen, alltäglichen Leben im Kommunismus war womöglich der noch größere Augenöffner: Diese Armseligkeit, zusammen- oder eher niedergehalten durch den eisernen Klammergriff der (Staatssicherheits-)Organe, hatte man sich zu Hause trotz aller Informationen nicht vorstellen können. Man begriff, warum Helmut Schmidt die Sowjetunion "Obervolta mit Atomraketen" genannt hatte (Obervolta, heute Burkina Faso, war/ist ein bitterarmer afrikanischer Staat).

Dieses System musste rein ökonomisch implodieren. Aber man wagte nicht zu prophezeien, wann das sein würde. Umso heroischer der Widerstand der Dissidenten, die für Meinungsfreiheit ins Gefängnis gingen.

Heute blickt man auf diese großartigen Menschen zurück und stellt fest: Sie waren ganz überwiegend liberale Intellektuelle. Die Freiheit, für die sie sich so bewundernswürdig eingesetzt hatten, ist auch gekommen, aber sie fiel ziemlich relativ aus. Es gab genug konservative und/oder nationalistische Antikommunisten. Sie blieben freilich im Hintergrund. Die liberalen Intellektuellen bildeten die Avantgarde, und an einem bestimmten Punkt sammelten sich auch die Volksmassen auf den Straßen (unvergesslich schon 1985 drei Millionen gläubige Polen in Tschenstochau oder Hunderttausende auf dem Wenzelsplatz in Prag.

Aber Antikommunismus bedeutete eben nicht automatisch liberale Demokratie. In Polen, Ungarn und anderswo sind inzwischen die autoritären Nationalisten am Ruder.

Das Volk hatte den armseligen Kommunismus und die sowjetische Herrschaft gründlich satt. Daraus wurden sie auch erlöst. Es geht den Menschen materiell unendlich besser, und selbst die heutige Unterdrückung ist mit der in Sowjetzeiten nicht zu vergleichen. Aber um die endgültige Freiheit, wie sie Giganten wie Havel und Walesa wollten, muss weitergekämpft werden. (Hans Rauscher, 2.11.2019)