Foto: Kunstsammlung NRW

Diesem Auge kann man sich nicht entziehen. Es gehört dem 25-jährigen Edvard Munch, eine ausgemergelte Erscheinung mit kurzem Haarschnitt. Die linke Gesichtshälfte bedeckt ein dunkler Schatten. Rechts dominiert ein unerbittlich wacher Blick, der keinerlei Lebensfreude versprüht. Nachdenklich schaut er in einen Abgrund, die Miene unbewegt, der blasse Teint ähnelt dem des Vampirs, den er nur wenige Jahre später malen wird.

Die hypnotisierende Unausweichlichkeit tiefster Einsamkeit wird noch verstärkt durch die Hängung. Der Kurator duldet keinerlei Ablenkung in der Nähe des frühreifen Selbstbildnisses. Es begegnet dem Besucher scheinbar im Vorbeigehen zwischen zwei von vier thematisch abgegrenzten Sälen. Die Inszenierung trifft ins Mark, so wie die Wandtexte, die kein geringerer als Karl Ove Knausgård verfasst hat.

"Und darum geht es doch bei allem, nicht wahr?", schreibt er. "Um Gegenwart. Die Gegenwart eines Menschen. Gegenwart einer Landschaft, Gegenwart eines Raums, Gegenwart eines Baums. Und um die Gegenwart des Gemäldes, das den Menschen, die Landschaft, den Raum, den Baum hervorhebt." Nicht zu vergessen die Gegenwart des bekanntesten Autors Norwegens. Berühmt geworden mit dem autobiographischen Zyklus Min Kamp, versucht er dem anderen Nationalhelden, dessen Schrei es bis auf Tassen und T-Shirts geschafft hat, in der Düsseldorfer Kunstsammlung NRW Aspekte abzuringen, die nicht mit den üblichen kuratorischen Standards zu fassen sind.

Idyllische Bauernszenen

Knausgård hat nach Recherchen in Depots 140 Gemälde, Grafiken und Skulpturen aufgespürt, viele von ihnen wurden in selbst in Norwegen noch nie gezeigt, etwa das Spätwerk Maler an der Hausfassade von 1942. Da lebte Munch bereits seit vierzig Jahren zurückgezogen und malte täglich ein Bild, darunter auch Selbstporträts, die seine trotz Aufenthalten in Sanatorien nie abgeklungene Depression widerspiegeln.

Dabei stimmt der Anfang, das Kapitel Licht und Landschaft, noch zuversichtlich. Idyllische Bauernszenen treffen auf sonnendurchflutete Gärten und Küsten. Es geht weiter mit Der Wald, ein Kapitel, das nackte Menschen, wie verloren gegangen in einer übermächtigen Natur zeigt, gerne auch nur Baumstämme und Äste, wie unter einem Vergrößerungsglas fokussiert, umgrenzt von wuchtigen Holzrahmen, die dicht aneinander, tief am Boden gehängt sind.

Existenzielle Panik

Die Idee zu dem zeitversetzten Maler-Literaten-Treffen hatte das den Nachlass verwaltende Munch Museum in Oslo, in der Erwartung, Knausgård würde sich der Schriftproduktion annehmen. Es kam natürlich ganz anders. Gerade die visuelle Seite reizte ihn an dem Projekt, denn Munchs Bekanntheit versperre in seinen Augen inzwischen die Rezeption seiner Bilder, weswegen Knausgård Werke zusammentrug, die noch nicht zu Ikonen einer existenziellen Panik eingefroren sind.

Die Arbeit an der Ausstellung hinderte ihn trotzdem nicht daran, parallel ein Buch über Munch zu schreiben. In So viel Sehnsucht auf so kleiner Fläche thematisiert er seine persönliche Wahrnehmung des Werks. Es geht, wie bei dem Maler, um Leben und Sterben, die Beziehung zu Frauen und die Ängste, die damit verbunden sind.

Zombiehafte Gestalten

So wird man mit der Innenwelt zweier Männer konfrontiert. Dabei begegnet man typischen Motiven, allen voran im düsteren Kapitel "Chaos und Kraft": Zombiehaften Gestalten mit Totengesichtern, weinenden Mädchen, gefangen in zerfließenden Körpern, halbfertigen Gemälden, die in ihrer impulsiven Ungelenkigkeit eine akute Krise widerspiegeln.

Im finalen Teil Die Anderen sehen wir Zeitgenossen, die sich von dem Meister in realistischer Manier, ohne spleenige Marotten porträtieren ließen. Unspektakuläre Momentaufnahmen einer verlöschenden Existenz, die erst durch den Blick des Schriftstellers eine lebensdramatische Emotionalisierung erfahren. Denn, so Knausgård: "Munch interessierte sich dafür, wie ein Bild ein anderes Bild verändern konnte, wie die Beziehung und der Kontext mehr erschufen als die einzelnen Werke, einen Klang, wie er es nannte." (Alexandra Wach, 5.11.2019)