Auf der griechischen Insel Hydra lernten sich Leonard Cohen und Marianne Ihlen kennen – gestorben sind die Lebenspartner innerhalb von drei Monaten 2016.

Foto: Aviva Layton/Polyfilm

"Now so long, Marianne / It's time that we began to laugh / And cry and cry and laugh about it all again." So beginnt eine der berühmtesten Balladen von Leonard Cohen, die der Norwegerin Marianne Ihlen gewidmet war. Die ersten Zeilen könnten auch für die lebenslange Beziehung zu seiner Freundin und – ja, ein schwieriger Begriff – Muse gelten, die über alle Unebenheiten hinweg bestehen blieb. Nick Broomfields Dokumentarfilm Marianne & Leonard: Words of Love spürt dieser außergewöhnlichen Liebe nach. Dennoch ist das keine Liebesgeschichte wie im Märchen, sondern eine, die von den Eskapaden der Ära, von männlichem Schöpfungsdrang und weiblicher Bescheidenheit erzählt. Broomfield leugnet die Widersprüche nicht, selbst wenn er die Diskrepanzen der Geschlechterrollen kaum hinterfragt. Die schiere Präsenz des Paares und ihrer Gefühle zueinander überwältigt dennoch.

STANDARD: Sie haben schon einige Musiker-Dokumentarfilme gemacht, etwa "Kurt & Courtney", aber dies ist Ihr bisher persönlichster. Liegt das auch daran, dass Sie selbst Marianne nahestanden?

Broomfield: Das war eigentlich ein Dilemma! Es ist mir schwergefallen, den richtigen Tonfall zu finden. Meine Geschichte mit Marianne sollte ja nur zu ihrer gemeinsamen Geschichte beitragen. Es sollte ein Mittel sein, Kapitel anzuschubsen, und die Geschichte intimer machen.

STANDARD: Zu Beginn des Films erzählen Sie von der Zeit auf Hydra und der Künstlerkommune dort. Ein Paradies mit drogenbedingten Schattenseiten.

Broomfield: Die ambivalente Seite von Hydra war mir immer bewusst. Es gab dort eine Mischung aus künstlerischen Erfolgen und einer unbestreitbaren Dunkelheit. Für viele war es schwierig, die Verhältnisse richtig einzuschätzen. Hydra war ein extremes Beispiel dafür, was ab Mitte der 60er-Jahre an vielen Orten passierte – nur intensiver, weil es sich um eine Insel handelte.

Piece of Magic Entertainment

STANDARD: Cohens Beziehung zu Frauen ist ähnlich ambivalent. Einerseits haben sie seine Lyrik und Songkunst geformt. Doch sein Donjuanismus hatte auch eine selbstzerstörerische Seite.

Broomfield: Er hat sein ganzes Leben lang damit gerungen. Seiner Musik und seinem Schreiben verlieh es die Qualität einer Suche. Das machte seine Musik so tiefgründig. In seinen Texten geht es oft um die Unfähigkeit, sich an eine Person zu binden, sich auf eine Liebe festzulegen. Diese Aufrichtigkeit hat große Kraft. Die Menschen können ihre eigenen Liebesaffären damit abgleichen. Was viele Leute im Film nachempfinden können, ist gewiss die lebenslange Liebe der beiden, die von den Widersprüchen der Liebe an sich erzählt. Diese Liebe ist keine Pralinenschachtel.

STANDARD: Cohen war sich seiner Defekte durchaus bewusst – er ging sogar ins Kloster, um sich selbst zu finden.

Broomfield: Er hat nach einem höheren Sinn gesucht, nach einer alternativen Daseinsform. Das ging zugleich mit einer schweren Depression einher. Er schrieb darüber, nachdem er das Kloster verlassen hatte. Er ging nach Indien, wo die Depression langsam wegschmolz. Die letzten Lebensjahre, die er mit der Welttournee zubrachte, gehörten wohl zu seinen glücklichsten Jahren. Ironischerweise fiel das auch damit zusammen, dass sein sexuelles Interesse nachließ. Das hatte sein Leben dominiert.

STANDARD: Bei seiner Beziehung zu Marianne kann man sich auch über die traditionelle Rollenverteilung wundern: Da der Poet, dort die Muse, die ihm Früchte darreicht. Ist das nicht etwas verklärend?

Broomfield: Marianne war da durchaus selbstkritisch. Sie hat ein großes Talent dafür, die Stärken einer Person auszumachen. Sie ermutigte Menschen zum Wandel, in Leonards Fall vom Schriftsteller zum Sänger und Poeten. Das war ein gewaltiger Sprung. Sie ermutigte ihn dazu, so wie sie Julie Felix dazu ermutigte, ihre eigenen Lieder zu schreiben. Marianne gab ihr den Glauben an sich selbst – auf ähnliche Weise, wie große Musikproduzenten eine versteckte Qualität erkennen.

STANDARD: Nur dass sie dafür keinen Ruhm erntete ...

Nick Broomfield (71) ist ein britischer Dokumentarfilmemacher, der aufgrund seines selbstbezüglichen Stils auch mit Michael Moore verglichen wurde. Seine Themen reichen von der Politik bis zum Entertainment.
Foto: Words and Poems

Broomfield: Ja, weil nur ein Produzent, der Millionen verdient, respektiert wird. Wenn man zugleich diejenige ist, die einem Mann das Essen zubereitet, gilt das als minder. In unserer extrem kapitalistischen Gesellschaft wird vor allem Geld mit Anerkennung honoriert. Frauen müssen ihr Tun viel offensichtlicher publikmachen, Marianne war jedoch sehr zurückhaltend, was einen Teil ihres Charmes ausmachte. Sie war es, die mich als Erste aufgefordert hatte, Filme zu machen und dieses Risiko auf mich zu nehmen.

STANDARD: Der Film besteht fast nur aus Archivaufnahmen – viele davon sind privater Natur. Wie gestaltete sich die Recherche?

Broomfield: Ich hab mich daran erinnert, dass Marianne von D. A. Pennebaker erzählt hat, dem Regisseur von Don't Look Back, der einmal nach Hydra gekommen war, wohl um Leonard zu finden. Er hat mit ihr viel Zeit verbracht und sie gefilmt. Damals eine Handkamera zu besitzen war eine große Sache. Pennebaker konnte sich zuerst kaum daran erinnern. Er war schon 90 Jahre alt, und ich dachte, er würde nicht mehr herumkriechen und nach alten Filmen suchen. Doch er fand das Material, Monate später, und es wurde zum Schönsten des ganzen Films – all diese Schwarz-Weiß-Aufnahmen von Marianne!

STANDARD: Das klingt so, als hätte das Material auch die Form des Films verändert?

Broomfield: Unbedingt, einen Archivfilm auf diese Weise zu machen ist ein eigenes Abenteuer. Es ist zeitaufwendiger, als das ganze Material selbst zu drehen. Die Geschichten sind im Material verborgen. Leonard hat etwa nur ganz bestimmten Journalisten, die er mochte, Interviews gewährt. Das waren nicht die Mächtigsten. Ihnen gegenüber hat er sich geöffnet, intime Gedanken geteilt. Das ergab viel bedeutendere Momente, als wenn man sich mit TV-Shows und Ähnlichem begnügt hätte. (Dominik Kamalzadeh, 5.11.2019)