Der Chef und Gründer des Essenslieferanten Takeaway, Jitse Groen, betont gern, dass sein Unternehmen anders ist. Die Fahrradkuriere werden beim niederländischen Konzern Takeaway im Gegensatz zu den Praktiken bei vielen Konkurrenten angestellt, erzählt er in Interviews zum Beispiel. Man versichere die Mitarbeiter, bezahlen Steuern. Die Botschaft dahinter ist klar: Andere Start-ups mögen nur auf schnelles Wachstum aus sein. Bei Takeaway habe man aber auch soziale Aspekte im Blickfeld.

Nicht in dieses Bild passt eine Klage, die Takeaway beim Arbeits- und Sozialgericht in Wien eingereicht hat. Beklagte Partei ist der Betriebsrat einer eigenen Niederlassung in Österreich. Nach einer ersten Verhandlung Anfang September geht es im Dezember richtig zur Sache bei Gericht. Der Ausgang des Verfahrens könnte Präzedenzwirkung weit über diesen Einzelfall hinaus entfalten.

Takeaway ist in Österreich unter der Marke lieferando.at aktiv, früher lautete der Name lieferservice.at. Mehr als 300 Mitarbeiter, viele sind Fahrradkuriere, soll das Unternehmen in Österreich beschäftigen. Alle sind angestellt. Die Zustellungen werden auch in Salzburg und Graz angeboten. Lieferando wickelt daneben auch viele Aufträge online ab und leitet sie an Restaurants weiter, die dann selbst zustellen. Das Unternehmen expandiert und dominiert den heimischen Markt mit den Zustellungen von Burgern, Sushi, Pasta und Co gemeinsam mit dem Konkurrenten Mjam.

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Kein Betrieb?

Ausgangspunkt des Streites war die Wahl des sechsköpfigen Betriebsrates im Frühjahr 2019 in Wien bei Lieferando. Kurz nach der Wahl wurde die Klage eingebracht. Argumentiert wird von der Konzernleitung bei Takeaway laut STANDARD-Recherchen damit, dass es sich bei der Niederlassung in Wien um gar keinen Betrieb handelt.

Wer bei Lieferando bestellen will, muss das via App oder über die Website tun. Die Konzernführung sagt, dass die Software das Herzstück des Unternehmens ist. Das Programm wird aber von der IT-Abteilung in Deutschland aus betreut und von dort aus gewartet. Die Server stehen in Irland.

Eine lokale IT-Infrastruktur gebe es in Österreich nicht – und daher existiere in Österreich kein Betrieb, sondern nur eine unselbstständige Zweigniederlassung. Ein weiteres Argument: Der zuständige Country-Manager in Österreich habe nur eingeschränkte Befugnisse, alle wesentlichen Entscheidungen werden daher im Ausland getroffen.

Was einen Betrieb ausmacht

Laut dem Arbeitsverfassungsgesetz muss tatsächlich ein Betrieb vorliegen, damit ein Betriebsrat gegründet werden kann. Um festzustellen, ob das der Fall ist, wird geprüft, ob die Niederlassung eine abgrenzbare Einheit mit ausreichender Selbstständigkeit ist, sagt der Arbeitsrechtler Martin Risak. Dafür ist es nicht nötig, dass zum Beispiel der lokale Geschäftsleiter über ein eigenes Budget verfügt. Es ist ausreichend, wenn Dienstpläne lokal erstellt werden oder die Kontrolle der Zusteller in Österreich erfolgt.

Laut der Dienstleistungsgewerkschaft Vida, die mit ihren Juristen die rechtliche Vertretung des Betriebsrates übernommen hat, ist genau das der Fall: Die Dienstpläne des Essenszustellers würden in Wien erstellt werden. Auch Meldungen über Urlaub oder Krankenstand erfolgten hier in einem eigenen Büro, heißt es bei der Vida.

Der Betriebsrat bei Lieferando wollte sich zum Fall nicht äußern. Der zuständige Gewerkschafter bei der Vida, Karl Delfs, sagt, dass es ihm "unverständlich ist", warum es diese Klage gibt. Der Betriebsrat unterstütze nicht nur Arbeitnehmer, "sondern ist auch für Unternehmer hilfreich, die an einem korrekten Betriebsablauf interessiert sind".

Lieferando bietet nicht nur Essenszustellungen an, über die Plattform kann auch direkt bei Restaurants bestellt werden, die dann selbst ausliefern.
Foto: Hendrich

Takeaway wurde im Jahr 2000 gegründet. Das Unternehmen ist auch in Deutschland, den Niederlanden, Polen und einigen anderen Ländern aktiv. Ein Konzernsprecher bestätigt die Klage in Österreich. Gegen Arbeitnehmervertretungen habe man nichts, juristisch sollte die Gründung eines Betriebsrates aber korrekt erfolgen, argumentiert er.

In jeder Stadt, in der Takeaway aktiv ist, könne es nicht einen eigenen Betriebsrat geben. In den Niederlanden und in Deutschland gebe es eine Arbeitnehmervertretung. Was der Betriebsrat in Wien konkret anders hätte machen sollen, um dem juristischen Streit zu entgehen, sagt der Sprecher nicht.

Welche Anknüpfung zu Österreich

Klagen gegen Betriebsratsgründungen gibt es immer wieder in Österreich. Das Besondere am vorliegenden Fall ist laut Juristen, dass hier damit argumentiert wird, dass die für das Unternehmen so zentrale IT vom Ausland aus programmiert wird und es deshalb keinen Betrieb in Österreich gibt.

Die Causa sei die erste, in der ein Gericht beurteilen muss, "welche Anknüpfungspunkte" ein ausländisches Unternehmen der Plattformökonomie zu Österreich überhaupt hat, sagt der Arbeitsrechtler Risak. Das werde für alle aus dem Ausland gesteuerte IT-Unternehmen mit ähnlichem Geschäftsmodell in Österreich bedeutend werden.

Betriebsräte in der Branche der Fahrradzusteller sind eher eine Seltenheit. Bei Mjam in Österreich gibt es bereits eine gewählte Arbeitnehmervertretung. (András Szigetvari, 5.11.2019)