Immer wieder muss sich Premier Andrej Babiš rechtfertigen, wenn es um Gelder aus Brüssel geht.

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Tschechische Regierungskritiker bereiten sich fieberhaft auf ihren großen Tag vor: Am Samstag nächster Woche, am 16. November, soll es erneut eine große Demonstration gegen die Regierung von Premierminister Andrej Babiš geben. Das Datum ist natürlich nicht zufällig gewählt: Nur einen Tag später begeht das Land seinen Staatsfeiertag, an dem es sich an die erste große Studentenkundgebung im Rahmen der sogenannten Samtenen Revolution erinnert, die vor 30 Jahren die kommunistische Diktatur in der damaligen Tschechoslowakei zu Fall gebracht hat.

Auch diesmal geht es den Demonstranten um Demokratie – und um mutmaßliche Ungereimtheiten beim Bezug von EU-Subventionen zugunsten des Regierungschefs: "Erst im Oktober ist die zuständige Senatskommission zum vorläufigen Schluss gekommen, dass Babiš sich in einem Interessenkonflikt befindet", sagt Damián Koch von der Bürgerinitiative "Eine Million Momente für die Demokratie", die die Kundgebung organisiert, im Gespräch mit dem STANDARD. Hintergrund: Die Europäische Kommission überprüft derzeit in zwei Audit-Verfahren die Frage, ob Babiš nach wie vor Einfluss auf die von ihm gegründete Holding Agrofert nimmt.

"Lex Babiš"

Diese hat er zwar inzwischen – weil ein von ihm selbst als "Lex Babiš" kritisiertes Gesetz ihn dazu zwingt – in zwei Treuhandfonds ausgelagert. Dennoch besteht nicht nur bei der Opposition im eigenen Land, sondern auch bei der Brüsseler Behörde der Verdacht, dass Babiš über ihm nahestehende Personen, die in den Fonds das Sagen haben, weiter für die Geschicke des Konzerns mitverantwortlich ist – und unter Ausnutzung seiner politischen Macht dafür sorgt, dass EU-Subventionen in die entsprechenden Kanäle geleitet werden.

Babiš hat die Vorwürfe stets bestritten. Wie der tschechische Rundfunk vergangene Woche berichtete, dürfte das erste der beiden Audits erst im Dezember abgeschlossen sein. Das zweite, bei dem es vor allem um Agrarsubventionen geht, dürfte sich sogar noch länger hinziehen. Die Protestbewegung "Eine Million Momente für die Demokratie" will jedenfalls nicht auf den Bericht aus Brüssel warten.

Größte Demo seit 30 Jahren

Sie fordert seit längerem den Rücktritt von Babiš, der auch bereits in der Affäre rund um sein mittelböhmisches Freizeitareal Čapí hnízdo (Storchennest) ins Visier der Ermittler geraten ist. Auch damals ging es um EU-Subventionen. Der Milliardär Babiš soll das Storchennest bereits vor mehr als zehn Jahren, also vor Beginn seiner politischen Karriere, vorübergehend aus der Agrofert ausgegliedert haben, um an Subventionen für Klein- und Mittelbetriebe in Höhe von etwa zwei Millionen Euro zu kommen.

Die Frage, ob das einen Straftatbestand darstellt, war lange Gegenstand von Ermittlungen. Anfang September stellte die tschechische Staatsanwaltschaft das Strafverfahren gegen den Regierungschef schließlich ein. Die Regierungskritiker ließen sich dadurch freilich nicht besänftigen: Sie hoffen, dass an der Kundgebung am 16. November noch mehr Menschen teilnehmen als an der letzten Großdemo im Juni: Damals waren 250.000 zur größten Protestaktion seit der Samtenen Revolution gekommen.

Enthüllungen aus New York

Rückenwind bekamen Regierungskritiker in Tschechien und anderen mittel- und osteuropäischen Ländern am Montag durch einen vielbeachteten Artikel der "New York Times". Diese bezifferte die Förderungen für Babiš-Firmen allein im vergangenen Jahr auf mehr als 37 Millionen Euro. Auch Ungarn nahm der Bericht genau unter die Lupe: Demnach sollen EU-Fördergelder im Agrarbereich oft an Günstlinge des rechtsnationalen Premiers Viktor Orbán gehen, an die öffentliches Land zuvor günstig verpachtet worden sei. Ähnliche Vorwürfe gibt es gegen Bulgarien oder die Slowakei.

Dementis kommen nicht nur aus betroffenen Ländern, sondern auch aus Brüssel: Eine Sprecherin der EU-Kommission wies die Anschuldigungen noch am Montag zurück. Es werde stets alles nach strengen Regeln geprüft. (Gerald Schubert, 4.11.2019)