Unlängst stolperte ich in einem Social-Media-Laufforum über einen kleinen Eintrag. Was es bringe, sich auf der Laufbahn zu langweilen, fragte da jemand. Er habe, schrieb der Poster, es jetzt zum vierten oder fünften Mal probiert – aber außer öde sei Im-Kreis-Rennen nur eines: richtig öde.

Dazu stellte der Verfasser zwei Fotos: Handy-Screenshots. Die Grafik seines Laufes, daneben die automatisch gemessenen Runden-, Durchschnitts- und Spitzengeschwindigkeiten: Zehn Kilometer im gleichmäßigen (für den Poster) Komfortlauftempo. "Sooooo langweilig!"

Foto: thomas rottenberg

Der mir unbekannte Deutsche hat recht. Ohne Wenn und Aber: Langweiliger kann Laufen nicht sein. Ich könnte das nicht, 10 k auf einer monotonen 400-Meter-Schleife. Immer in der gleichen Richtung.

Immer mit dem gleichen Panorama. Ohne Musik, ohne Ansprache, ohne Abwechslung. "The Horror, the horror" – aber auch bewundernswert: Eine Stunde 15 Monotonie. Pure Eintönigkeit. Um das zu durchzustehen, braucht es Willen. Mentale Stärke. Durchhaltevermögen. Biss.

Weil Bahnlaufen saufad ist. Wenn man so läuft.

Foto: thomas rottenberg

Verstehen Sie mich nicht falsch: Wer will, der soll. Nur darf man dann nicht jammern – und (so wie der So-Me-Läufer) ehrlich-erstaunt fragen, wieso es andere immer wieder und regelmäßig auf die Bahn zieht.

Was daran denn "geil" sein soll: Wer so fragt, hat entweder nichts verstanden – oder aber noch nie mit jemandem geplaudert, der ihm den Unterschied zwischen Laufen und Joggen erläutert.

Und nein, gegen reines Joggen ist auch nix einzuwenden: Jeder wie er oder sie es mag.

Foto: thomas rottenberg

Aber die Bahn kann was anderes. Sie ist – zumindest ansatzweise – ein Labor. Hier kann man unter annähernd konstanten Bedingungen üben – und dann tatsächlich kontrollieren und vergleichen.

Allein, in der Gruppe, unter Anleitung – ganz egal: Die Runde ist nämlich immer gleich lang, der Belag immer gleich hart oder weich. Die Kurven haben immer den gleichen Radius, und die Strecke ist immer gleich bretteleben: Es gibt keine Ausreden – was es wiegt, das hat es hier auch.

Foto: thomas rottenberg

Ob das beim konstanten, durchgängigen, langen Imkreisdauerlaufen sinnvoll ist, mag jeder selbst entscheiden.

Beim Intervalltraining aber gibt es wenig, was besser ist: Ablenkungen und Störungen (vorausgesetzt, alle halten sich an die Spielregeln) gibt es nicht – und während sich viele Läufer sogar auf markierten Strecken in freier Wildbahn irgendwann ein bisserl selbst belügen und die letzten zehn, 20 oder 30 Meter nur mit halber Kraft laufen, ist das hier unmöglich. Also: Langsamer werden geht natürlich – aber die Markierungen sind eben, wo sie sind. Die kann man sich nicht schön- oder näherreden.

Foto: thomas rottenberg

Bleibt natürlich die Frage nach dem "Cui bono". Wozu? Ganz einfach: weil der Körper durch Intervalle lernt. Nicht bloß schnell (im Sinne von schneller) zu werden, sondern auch, was für einen enormen Unterschied das Wie beim Laufen macht – also wie wichtig Technik ist.

Aber vor allem, wie man die eigenen Kräfte einteilt: Einmal Vollgas kann jeder. Zweimal auch. Aber zehn- oder 20-mal? Und zwar nicht "was halt grad geht", sondern "voll – aber alle gleich schnell" – und zwar auch dann, wenn die Pausen immer gleich (kurz) sind.

Foto: thomas rottenberg

Falls Sie das noch nie versucht haben: Probieren Sie es. Nehmen Sie Laternen oder Bäume oder Wasauchimmer als Markierung – und gehen Sie auf Anschlag. Sie werden staunen, wie weh das beim fünften Mal tut. Aber auch, was Sie können, obwohl Sie glauben, dass Sie das jetzt wirklich kein sechstes, siebentes oder zehntes Mal schaffen. Doch – das geht. Und dann lernen Sie noch etwas: wie rasch Sie sich erholen.

Unter einer Voraussetzung: da muss eine Grundlage, eine Basis sein. Substanz, an der Sie schnitzen, modellieren, die sie perfektionieren können: Intervalle ohne Grundlagenausdauer gehen nicht. Damit machen Sie sich kaputt. Aber wenn das Fundament stabil ist und Sie ein bisserl mehr als nur "joggen" wollen, sind Intervalle grandios – auch als Lehrstück für den Kopf. Hassen kann und darf man sie übrigens trotzdem.

Foto: thomas rottenberg

Natürlich ist Laufen draußen besser. Feiner. Schöner. Und ich bin der Erste, der sagt, dass Laufen draußen bei fast jedem Wetter und praktisch jeder Temperatur möglich ist. Nur: Beim Intervalltraining ist es halt ein bisserl blöd, wenn man in den Pausen im eisigen Wind oder Regen auskühlt. Da reicht nämlich schon lockerer Trab für eine mehr als fette Verkühlung.

Darum wechseln wir – also mein Verein – dann irgendwann dorthin, wo auch etliche andere Trainingsgruppen "überwintern": in die Halle.

Foto: thomas rottenberg

Ins Dusika-Stadion. Die Bahn ist hier nur 200 Meter lang. Man teilt sich, wenn nicht gerade Herbstferien sind, eine Handvoll Bahnen mit Olympiastartern, Kindergruppen und Senioren und muss dementsprechend diszipliniert sein. Im Inneren des Ovals wird geturnt, Hürden gelaufen, weit-, drei- oder stabhochgesprungen.

Und außenrum fetzen die Bahnradfahrer: alles und alle gleichzeitig. Alle auf Anschlag. Alles bei Kunstlicht und Kunstluft – die manchmal so trocken ist, dass die Zunge am Gaumen pickt.

Foto: thomas rottenberg

Darüber ließe sich jetzt sehr fein und mit sehr guten Argumenten jammern: Keine US-Highschool und kein College würde Schul-Leichtathletinnen unter Bedingungen trainieren lassen, die in der "Sportstadt Wien" Österreichs Olympia- und Elitesportlerinnen und -sportlern zugemutet werden. Und die den Platz auch noch mit uns Hobetten teilen müssen – weil es ohne die Beiträge von uns Normalos nicht einmal diese Infrastruktur gäbe.

Aber ums Jammern geht es hier und heute nicht.

Sondern ums Sterben. Ums Sterben mit Anlauf – das kann nämlich was.

(Thomas Rottenberg, 6.11.2019)

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