Der Wiener Hauptbahnhof wurde zum Tatort.

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Wien – Ein 22-jähriger Spanier, der am 15. Jänner am Wiener Hauptbahnhof seine ältere Schwester mit einem Küchenmesser erstochen hat, ist am Dienstag von einem Schwurgericht in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher eingewiesen worden. Er war laut einem psychiatrischen Gutachten aufgrund einer ausgeprägten paranoiden Schizophrenie nicht zurechnungsfähig.

Die Entscheidung ist rechtskräftig, der Mann war mit seiner Unterbringung im Maßnahmenvollzug einverstanden.

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Keine Überlebenschance

Dem Spanier konnte infolge seiner Erkrankung nicht vorgeworfen werden, die 27-Jährige vorsätzlich getötet zu haben. Er habe die Tat in einem Krankheitsschub begangen, sagte Staatsanwalt Martin Ortner. Er zeigte den Geschworenen Fotos mehrerer Überwachungskameras, auf denen zu sehen war, wie der 22-Jährige das Messer mit einer Klingenlänge von 20 Zentimetern hinter seinem Rücken verbirgt, ehe er auf seine Schwester lostürmt. Diese war aus London angereist, wo sie beruflich tätig war, um ihrem Bruder zu helfen, der ins Obdachlosenmilieu abgeglitten war.

"Es wurde gestochen, um zu töten. Es war reine Mordabsicht am Werk", sagte der Staatsanwalt. Die Bilder veranschaulichten, wie der Mann zunächst mit der rechten Hand dem Opfer in die Brust sticht, die Frau dann mit der linken Hand zu sich zieht und weiter zusticht. Die Klinge drang bis zu elf Zentimeter tief in den Körper ein, Herz, Lunge und Leber wurden getroffen. Die Frau hatte keine Überlebenschance, sie verblutete am Tatort.

Krankheitseinsicht

Ihr Bruder zeigte sich in der Verhandlung geständig und krankheitseinsichtig. "Ich glaube aber, es waren nicht neun Messerstiche, sondern weniger", stellte er fest. "Dass ich die Schwester getötet habe, kommt auch von den Drogen, die ich konsumiert habe."

"Er sieht, was er angerichtet hat. Er bereut das. Er sieht ein, dass er eine Behandlung braucht. Er sieht ein, dass er sehr lange, vielleicht ein Leben lang Medikamente brauchen wird", sagte Verteidigerin Astrid Wagner. Seit seiner Festnahme werde er entsprechend versorgt: "Bei der Polizei war er noch hochaggressiv, hat völlig wirre Angaben gemacht. Jetzt ist er sediert." Infolge der Medikamente habe ihr Mandant aber 20 bis 30 Kilogramm Gewicht zugelegt.

Berufliche Probleme

Der ursprünglich aus Ägypten stammende Mann war im Alter von neun Jahren von einer spanischen Familie adoptiert worden. Seine leibliche Schwester wurde in der Folge ebenfalls von der Familie adoptiert. Mit 14 traten bei ihm erstmals psychische Auffälligkeiten auf, er landete in seiner Jugend wiederholt in Pflegeeinrichtungen und Erziehungsanstalten. Dann fand er eine Lehrstelle als Koch, schloss diese ab und ging nach Deutschland und danach nach Tirol arbeiten.

Im Jänner 2019 verlor er nach vier Tagen eine Stelle als Saisonkoch in Pertisau, nachdem er ein ausgesprochen frauenfeindliches und zudringliches Verhalten an den Tag gelegt hatte. "Die Leute haben sich gedacht, er spinnt einfach. Und haben ihn rausgehaut", bemerkte der Staatsanwalt.

Tatnacht

Der somit beschäftigungslose 22-Jährige begab sich nach Wien und landete in der Obdachlosenszene am Hauptbahnhof. Nachdem er seine Adoptiveltern telefonisch um Geld gebeten und dabei äußerst wirre Angaben gemacht hatte, entschloss sich seine Schwester zur Reise nach Wien, um sich um ihn zu kümmern. In der Nacht auf den 15. Jänner kam sie am Flughafen Schwechat an, kurz vor Mitternacht nahm sie am Hauptbahnhof die Suche auf, wobei sie sich bei Security-Mitarbeitern nach dessen Verbleib erkundigte.

Als die Securitys wenig später in der Haupthalle den 22-Jährigen wahrnahmen, hatte die Schwester ihn bereits erkannt und angesprochen. Er leugnete, die Frau zu kennen, und lief davon. Die 27-Jährige und ein Security-Mitarbeiter folgten ihm ins zweite Untergeschoß, wo sich der 22-Jährige in eine Nische vor einem Geschäftslokal zurückzog. Dass er ein Küchenmesser aus seinem Rucksack genommen hatte, sahen die beiden erst, als der Mann plötzlich auf die zehn Meter hinter dem Security stehende Schwester zulief.

Zurechnungsunfähig

Nach seiner Festnahme tätigte der Mann Aussagen ("Manche glauben, ich bin Gott"), die schon damals an seiner Zurechnungsfähigkeit zweifeln ließen. Diese Vermutung bestätigte sich bei der Untersuchung durch die psychiatrische Sachverständige Gabriele Wörgötter. Diese bescheinigte dem Mann eine paranoide Schizophrenie, die von Verfolgungsideen, Größenwahn und religiösen Irrbildern geprägt ist.

Er selbst führte vor Gericht den Ausbruch der Krankheit auch auf die frühkindliche Trennung von seiner leiblichen Mutter zurück. Er sei deshalb "sehr traurig" gewesen und habe das "nicht verstanden". Nicht zuletzt deshalb habe er Alkohol, Marihuana und Kokain konsumiert. (APA, 5.11.2019)