Lindsay Hoyle gilt als freundlich, Kritiker bezweifeln aber seine Durchsetzungskraft.

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Die gute Nachricht lautet so: Trotz des schier endlosen Brexit-Streits haben britische Politiker ihren Humor nicht eingebüßt. Lindsay Hoyle, 62, beispielsweise hat sich erst kürzlich einen Papagei angeschafft und das Tier nach dem amtierenden Premierminister Boris benannt. "Halt's Maul, Boris!" sollte dem am späten Montagabend zum 158. Speaker des Unterhauses gewählten Labour-Mann also leicht von den Lippen gehen.

Die schlechte Nachricht: Hartnäckig halten sich im britischen Parlament Zweifel daran, ob der langjährige Vize des heute schon legendären John Bercow den Mut und das Format dafür aufbringen wird, dem Regierungschef ins Wort oder in den Arm zu fallen. Bercow hatte dies gegen Ende seiner zehnjährigen Amtszeit sowohl bei Premier Boris Johnson wie bei dessen Vorgängerin Theresa May häufig praktiziert. Zu häufig, fanden vor allem die Konservativen. Genau richtig, glauben jene, die von einer Minderheitsregierung größeren Respekt gegenüber dem Unterhaus erwarten.

Johnsons ölige Begeisterung über Hoyles "Freundlichkeit und Vernunft" und Hoffnung auf "einen unparteiischen Speaker" umreißt die Erwartungen der Regierung und spiegelt eine verbreitete Stimmung im Unterhaus wider, weit übers Brexiteer-Lager hinaus. Sämtliche Kandidaten – vier Frauen und drei Männer – trugen ihr in kurzen Bewerbungsreden am Montag Rechnung, distanzierten sich vom häufig ruppigen und wortreichen Stil des Vorgängers, gaben teilweise sogar den Anti-Bercow.

Unverkennbare Herkunft

Dass der Favorit Hoyle durch vier quälend lange Wahlgänge musste, mag an seiner vergleichsweise schwachen Vorstellung gelegen haben. Dabei galt der leutselige, im unverkennbaren Dialekt seiner nordwestenglischen Heimat Lancashire sprechende Mann von Anfang an als Favorit. Der 62-Jährige kam 1997 ins Unterhaus, wo zuvor schon sein mittlerweile ins Oberhaus beförderte Vater gedient hatte. Zu Labours Regierungszeiten bis 2010 blieb Hoyle Hinterbänkler, schaffte dann den Sprung ins Parlamentspräsidium. Dort habe er, glauben Insider, seit Jahren still und zäh auf den gestrigen Tag hingearbeitet.

Der in zweiter Ehe verheiratete Vater zweier Töchter hat Reformen angekündigt. So will er sein Vorgehen zukünftig transparenter machen, indem er die Expertise seiner Chefbeamten öffentlich macht. Auch plant der neue Mann die Einrichtung einer Arztpraxis samt psychologischer Beratungsstelle – Konsequenz einerseits aus den Mobbingvorwürfen gegen Bercow und andere, andererseits aus einer sehr persönlichen Erfahrung: Vor zwei Jahren beging Hoyles 28-jährige Tochter Natalie Suizid, und der Tod beschäftige seine Familie "in vielerlei, auch ganz unerwarteter Weise".

Sollte sich die Tradition durchsetzen, wird der Speaker bei der Wahl am 12. Dezember ohne ernsthaften Gegenkandidaten seinen Wahlkreis Chorley bei Manchester zurückgewinnen und mindestens für die Dauer der kommenden Legislaturperiode amtieren. (Sebastian Borger aus London, 5.11.2019)