In den 1970ern und 1980ern war das Fahrrad in Lagos populär, doch es wurde vermehrt durch Mopeds und Autos verdrängt.

Foto: APA/AFP/STEFAN HEUNIS

Am Fahrradständer im Richmond Gate Estate in Lekki, einem Stadtteil der nigerianischen Megacity Lagos, ertönt ein kaum zu hörender Klick. Er ist das Signal, dass eins der knallgrünen Fahrräder ausgeliehen wurde und die Fahrradtour beginnen kann. Ibukun Tunde-Oni schiebt es auf die kleine Straße, die in einem ruhigen Wohnviertel liegt. In seiner rechten Hand hält er sein Smartphone. Mit der darauf installierten App Awa Bike hat er das Fahrrad gerade gemietet.

15 Minuten kosten 20 Naira, umgerechnet knapp fünf Cent. Kein anderes Transportmittel ist so günstig. "Die App funktioniert so wie andere Mobilitätsapps auch", sagt der 30-Jährige und zeigt sein Benutzerprofil und eine Liste von früheren Fahrten. Anders als bei Uber und Co gibt es jedoch eine Reihe von Sicherheitstipps dazu. Denn in Lagos, der ständig verstopften Großstadt, in der zwischen 21 und 22 Millionen Menschen leben, klingt Fahrradfahren wie ein großer lebensgefährlicher Widerspruch.

"Man muss immer mit Verkehr rechnen", sagt Tunde-Oni, der Arzt ist, jetzt aber gemeinsam mit Damilola Olugbemi und Ifeoluwa Ogundipe den Traum von einem fahrradfreundlichen Lagos verwirklichen will. Dafür gründeten sie das Start-up Awa Bikes, das seit Mitte des Jahres knapp 200 Mieträder im Angebot hat.

Leihstationen in ruhiger Lage

Durch ganz Lagos können Kunden damit jedoch bisher noch nicht radeln. Neben dem Richmond Gate Estate gibt es bisher zwei weitere Leihstationen auf den Campussen der Pan Atlantic University und der Lagos State University. In Gegenden mit weniger Verkehr wird so das Unfallrisiko verringert. Zudem werden die Räder nicht irgendwo stehengelassen, noch ist die Wartung aufwendig. Auch eignet es sich dazu, um mehr über das Nutzerverhalten in Erfahrung zu bringen. Denn die drei Jungnehmer wollen ihr Angebot auf jeden Fall ausbauen.

Schließlich erstickt die Stadt im Verkehr. Je nach Tageszeit und Richtung können Pendler, die Autos oder Minibusse nutzen, für Strecken von 20 bis 25 Kilometern drei, vier oder fünf Stunden brauchen. Alternativen wie Schienenverkehr oder Busse, die 50 bis 60 Passagiere transportieren können, gibt es nicht. Der US-amerikanische Fahrdienstvermittler Uber setzt aktuell in einer Pilotphase zwar eine Fähre über die Lagune ein. Doch auch das sorgt nicht für Entspannung.

In ständiger Alarmbereitschaft

Im Stadtteil Ikoyi, der wie Lekki im Süden von Lagos und somit am Wasser liegt, steigt Emeka Okocha seit Jahren fast täglich auf sein Fahrrad. Der 33-Jährige hat in Chicago studiert und ist Gründer der Whatsapp-Gruppe Bikaholics, über die sich Radfahrer in der ganzen Stadt zu gemeinsamen Touren verabreden. "Man genießt Lagos aus einer anderen Perspektive, und der Kontakt zum Umfeld ist viel intimer", sagt Okocha. Neben Ausflügen nutzt er das Fahrrad auch für berufliche Verabredungen, wenn die Strecke nicht zu lang ist.

Das sei praktisch, dennoch sei er in ständiger Alarmbereitschaft. Um das Fahrrad generell populärer zu machen, müsse die Landesregierung deshalb Gesetze verabschieden, die Radler schützen. "Wir brauchen auch eine bessere Infrastruktur. Das müssen nicht unbedingt neue Wege sein, sondern speziell für Radfahrer ausgewiesene Streifen." Forderungen wie diese stehen im 2018 veröffentlichten Strategieplan für den nichtmotorisierten Verkehr. Darin ist auch die Rede von einem stadtweiten Radwegenetz. Von einer Umsetzung ist bisher aber noch nichts zu sehen.

Dabei sind Fahrräder keinesfalls neu in Lagos. Noch in den 1970er- und 1980er-Jahren wurden sie im Alltag genutzt, dann aber durch Mopeds und Autos verdrängt. Emeka Okocha ist aufgrund der neuen Zweiradintitiativen mittlerweile jedoch sicher: "Das Fahrrad wird künftig wieder zurück aus seinem Schattendasein kommen." (Katrin Gänsler aus Lagos, 6.11.2019)