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Richterin Kerstin Just ist Teil des Kernteams für die Digitalisierung der Justiz.

Foto: Picturedesk.com / APA / Georg Hochmuth

Wien – Das Vorhaben des Justizministeriums, alle Zivilverfahren in den nächsten zwei Jahren zu digitalisieren, ist höchst ehrgeizig, und die Budgetmittel sind knapp. Für die Richterin Kerstin Just und ihre Partner im Kernteam, das beim Projekt "Justiz 3.0" die Schnittstelle zwischen dem Ministerium und dem Bundesrechnungszentrum (BRZ) bildet, stellt dieser Spagat eine besondere Hausforderung dar.

Das Handelsgericht Wien, an dem Just arbeitet, ist eines der Pilotgerichte bei der Einführung des digitalen Akts. "Die Budgetprobleme haben sich meiner Wahrnehmung nach auf den Pilotbetrieb spürbar ausgewirkt", sagt die Richterin.

Es gebe zwar auf allen Seiten äußerst engagierte Teams, "aber wir würden uns als Kernteam mehr personelle Ressourcen für eine raschere Entwicklung des Programms, der Betreuung unseres Pilotgerichts sowie auch für Aufgaben der Kernteammitglieder der Pilotgerichte wünschen."

Die bisher umgesetzte Digitalisierung der Aktenbearbeitung habe manche Arbeitsschritte erleichtert, etwa durch die Erstellung von Vorlagen, Suchfunktionen und Markiermöglichkeiten. "Auch dass wir nicht mehr länger umfangreiche Akten mit mehreren Bänden von der Kanzlei in das Arbeitszimmer oder den Verhandlungssaal und wieder retour tragen müssen, ist eine Erleichterung", sagt Just.

Das "Sichten"-Programm, mit dem der Akteninhalt nach Themenbereichen aufbereitet und strukturiert werden kann, bringe weitere Vorteile, sei allerdings noch nicht fertig entwickelt. Die richterliche Kerntätigkeit der Verhandlungsführung und Entscheidungsfindung bleibe jedenfalls unberührt, fügt sie hinzu.

Nachteile im Gerichtsalltag

Die digitalen Tester im Handelsgericht haben nach einem Jahr Probebetrieb auch einige erhebliche Nachteile festgestellt, beschreibt Just ihre Erfahrungen. So könnten verstärkt Augen- und Rückenbeschwerden entstehen, durch die fehlende Haptik sei der Akteninhalt schwerer erfassbar, ein Nebeneinander-Auflegen von Urkunden sei an den Bildschirmen nur eingeschränkt möglich, und die Aufmerksamkeitsspanne würde schrumpfen.

"Besonders herausfordernd ist es im Verhandlungssaal, da die technische Ausstattung mit mehreren Bildschirmen von manchen Beteiligten als störend empfunden wird", erzählt Just. Die Blickachsen zwischen einzuvernehmender Person und Richter seien durch die Bildschirme am Richter- und Zeugentisch beeinträchtigt, die Bedienmöglichkeiten für den Zeugenbildschirm nicht ausreichend, und IT-Probleme würden von der Verhandlungsführung ablenken. Allerdings werde laufend an der Verbesserung des Systems gearbeitet.

Auch der Schulungsbedarf an den Gerichten sei enorm. Dabei gehe es neben technischen Kenntnissen auch um die Umstellung von Arbeitsabläufen, die nicht einfach analog vom Papierakt auf den digitalen Akt umgelegt werden könnten. Das erfordere umfassende Schulungsprogramme.

Dennoch sei die Digitalisierung unverzichtbar, betont Just. Gerade in Wirtschaftsprozessen seien Einzelrichter gegenüber großen Kanzleien bei der Ausstattung unterlegen. Just: "Umso wichtiger erscheint es mir, bei Legal-Tech-Neuerungen auf dem neuesten Stand zu sein und diese als Unterstützung angesichts ohnehin knapper Gerichtsressourcen nutzen zu können." (Eric Frey, 6.11.2019)