Im Juristenalltag spielt das gedruckte Papier eine schwindende Rolle.

Der typische Arbeitsplatz eines Rechtsanwalts wird immer noch von der Bücherwand hinter dem Schreibtisch dominiert, in der die Gesetzeskommentare und Judikatursammlungen aufrecht stehen. Im Juristenalltag spielt das gedruckte Papier hingegen eine schwindende Rolle.

Recherchiert wird in elektronischen Datenbanken, und angesichts der ungeheuren Fülle von Quellen und Informationen sind deren Nutzer nicht mehr damit zufrieden, über Suchbegriffe zu einer Dokumentenliste zu gelangen. Die wachsenden Ansprüche ans Informationsmanagement zwingen die Rechtsverlage zur Auseinandersetzung mit Legal Tech.

Manz und LexisNexis, die Marktführer in Österreich, investieren massiv in digitale Produkte, die sie auf die Bedürfnisse von Juristen zuschneiden. Dabei spielt auch künstliche Intelligenz eine wachsende Rolle.

Mehr als die Häfte des Umsatzes digital

Bei LexisNexis komme mehr als die Hälfte des Umsatzes aus dem digitalen Bereich, sagt Österreich-Chef Alberto Sanz de Lama und fügt hinzu: "Wir haben uns vorgenommen, die technischen Möglichkeiten zur Gänze auszunutzen."

Die Rechtsdatenbank sei seit 2017 komplett erneuert; "Lexis 360" ermögliche eine neue Art des Recherchierens, bei der neben klassischen Suchresultaten auch weiterführende Artikel und Links mit Visualisierungen geliefert werden – und das auf eine Weise, die einen raschen Überblick ermöglicht.

Lexis SmartCan erkennt Rechtsbegriffe in gescannten Dokumenten und empfiehlt sofort die passende Literatur. Lexis ContractMaster, das gemeinsam mit der Kanzlei Eisenberger & Herzog entwickelt wurde, ermöglicht eine automatische Vertragserstellung mit laufend aktualisierten Klauseln.

Viele neue Produkte

Bei Manz wurden der Rechtsdatenbank (RDB) vor kurzem Videos hinzugefügt, berichtet Wolfgang Pichler, Leiter von Business Development. In einem Fassungsvergleich von alten und neuen Gesetzen werden die Unterschiede in Farbe ausgewiesen. Beim "Manz Link Butler" können Kunden viele Hundert Seiten lange Dokumente hochladen.

Die Software erkennt darin Zitate und verlinkt sie sogleich mit der richtigen Quelle in der Datenbank. Und abseits der Inhalte bietet Manz eine Cloud an, in der Kunden Daten speichern und vor allem leicht mit Partnern austauschen können.

Ob dieses Verfahren den Standesrichtlinien der Rechtsanwaltskammer entspricht, sei allerdings noch umstritten, fügt Pichler hinzu. Aber zahlreiche Kunden auch außerhalb von Kanzleien wollen "auf eine kleine, feine österreichische Cloud-Lösung eines renommierten Anbieters setzen statt auf eine Drop-Box-Lösung", sagt er.

Tools aus einer Hand

Auch Sanz betont den Wettbewerbsvorteil der Verlage gegenüber vielen Start-ups. "Es gibt viele Einzellösungen, aber Anwälte wollen nicht 20 einzelne Tools für jeden einzelnen Arbeitsschritt haben, sondern jemanden, der Tools aus einer Hand gebündelt anbieten kann, die miteinander reden können", sagt er.

Das bestätigt auch Sophie Martinetz, Gründerin von Future Law und Organisatorin der Legal-Tech-Konferenz am Mittwoch in Wien. "Content ist King", sagt sie. "Die Verlage nutzen viele neue Vertriebs- und Verwertungskanäle durch die Digitalisierung und Legal Tech. Die Herausforderung ist, dass es nach dem Selbstverständnis der Juristen nur perfekte Produkte geben kann und daher ein klassischer Start-up-Approach des ,minimal viable product' schwer möglich ist."

So mancher Einzelanwalt kommt hingegen mit dem kostenlosen Rechtsinformationssystem des Bundes (RIS) aus, in dem die meisten höchstgerichtlichen Entscheidungen veröffentlicht werden, sagt Pichler. "Das ist unser größter Konkurrent."

Was im RIS nicht steht

Das RIS ist allerdings auch die Achillesferse der Rechtsinformation in Österreich, klagt Nikolaus Forgo, Professor für Rechtsinformatik an der Universität Wien. Nicht einmal alle Entscheidungen des Obersten Gerichtshofs seien dort veröffentlicht, und die Urteile der unteren Instanzen noch viel weniger.

Was nicht rechtskräftig sei, finde man im Wortlaut gar nicht, selbst so gewichtige Erkenntnisse wie die 18-Millionen-Euro-Strafe der Datenschutzbehörde gegen die Post AG. Die Auswahl werde oft willkürlich von Gerichten und Behörden getroffen.

"Für mich, der sich viel damit befasst, ist es oft nicht transparent, warum das eine veröffentlicht wird und das andere nicht", sagt Forgo. So manches Dokument müsse man sich mühsam bei Gerichten oder Anwälten erfragen.

Eingeschränkter Zugang für Studierende

Forgo übt auch Kritik an der Praxis der Rechtsverlage, die Jus-Studierenden zwar kostenlosen Zugang zu ihren Datenbanken gewähren, allerdings nur auf der Uni selbst oder über eingeschränkte Portale. "Ich kann als Lehrender nicht voraussetzen, dass alle von zu Hause aus oder im Urlaub Zugang haben, und ich möchte nicht voraussetzen, dass alle am Juridicum sind", sagt er. Das mache es unmöglich, gewisse Prüfungsaufgaben zu stellen.

Das Problem sei bekannt, sagt Sanz, und man wolle Studierenden den Zugriff zu Datenbanken ermöglichen; schließlich würden sie sich damit auf die reale Arbeitswelt vorbereiten. Man müsse sich allerdings vor Kanzleien schützen, die sich über inskribierte Praktikanten Gratiszugang zu den teuren Inhalten erschleichen wollen.

Sanz: "Wir haben unangenehme Erfahrungen gemacht, und das Netzwerk der Uni gibt uns eine Mindestsicherheit, dass es um Studenten geht." Das geschehe "auch aus Verantwortung gegenüber unseren Autoren", sagt Pichler. "Aber wer eine schlauere Lösung hat: bitte sehr." (Eric Frey, 6.11.2019)