Als Kunstmuseum blickt das Belvedere auf eine lange Tradition zurück: 1781 von Maria Theresia und ihrem Sohn Josef II. im Sinne der Aufklärung zu einem der ersten öffentlich zugänglichen Kunstmuseen der Welt gemacht, wurde es 1903 in sezessionistischem Geist als "Moderne Galerie" wiedereröffnet, die einen Gegenpart zur 1890 ins neueröffnete Kunsthistorische Museum übersiedelten kaiserlichen Sammlung bilden und österreichische Kunst im internationalen Kontext präsentieren sollte.

Dieser Mission blieb das Belvedere bis heute treu, das an nunmehr drei Standorten mit über 18.000 Werken die weltweit größte Sammlung österreichischer Kunst vom Mittelalter bis zur Gegenwart beherbergt.

Das Selbstbildnis von Martin van Meytens dem Jüngeren von 1731/35: bis Jänner 2020 noch zu sehen, ab dann im Depot und nurmehr auf digitalem Weg öffentlich zugänglich.
Foto: Belvedere / Johannes Stoll

Der Erforschung dieser Sammlung widmet sich das hauseigene Belvedere Research Center, das heuer seinen zehnten Geburtstag feiert und ihn am 30. Oktober mit einem Tag der offenen Tür beging. Neben Führungen durch die zum Center gehörende Bibliothek und Archiv zur österreichischen Kunstgeschichte gab es auch Expertengespräche zu verschiedenen Forschungsaktivitäten wie etwa der Sammlung zeitgenössischer Videokunst.

Abgeschlossen wurde der Tag in der Marmorgalerie des Unteren Belvedere mit einer Podiumsdiskussion, bei der Herausforderungen kunsthistorischer Forschungseinrichtungen erörtert wurden.

Eine Idee aus den USA

Der Leiter des Centers, Christian Huemer, nannte die Digitalisierung an erster Stelle. Neben einer Konferenzserie zum "Kunstmuseum im digitalen Zeitalter", die heuer gestartet wurde und im Jänner 2020 fortgeführt wird, hat das Belvedere als erstes Kunstmuseum Österreichs eine "Open Content Policy" eingeführt – eine Idee, die Huemer aus den USA mitgebracht hat, von wo er vor zwei Jahren nach Wien zurückkehrte.

Demnach werden seit November auf der Website des Belvederes hochauflösende Bilder von mehr als 4000 Kunstwerken aus den Sammlungen kostenlos zum Download angeboten – vom Mittelalter über den Kuss von Gustav Klimt bis hin zu Werken, die sich im Depot befinden und sonst nicht öffentlich zu sehen wären.

"Wir wollen nicht auf den Bildern sitzenbleiben, sondern sie jedem weltweit zugänglich machen", sagt Huemer. Die Policy vereinfache etwa Publikationen aus der kunsthistorischen Forschung, bei denen für Abbildungen schnell hohe Gebühren entstehen können – die lizenzfrei veröffentlichten Bilder könne man aber auch kreativ weiterverarbeiten und kommerziell verwerten. Vielleicht will auch jemand ein Kunstwerk als Plakat für zu Hause ausdrucken?

Potenzial für die Zukunft

In der digitalen Erschließung von Sammlungen sieht Huemer viel Potenzial: "Alles, was sich in einem Museum oder Institut befindet, ist das Fragment eines größeren Kontextes. Die Digitalisierung bietet die Chance, die verstreuten Werke, Quellen und Wissensbestände wieder produktiv zu verknüpfen."

Dabei liege eine Herausforderung jedoch in der Vernetzung verschiedener digitaler Systeme: "Wie können wir Standards entwickeln, sodass sich Maschinen miteinander über Bilder, Künstler- oder Ortsnamen austauschen können?"

Huemer verweist hier etwa auf die Datenbank mit den Namen von 20.000 österreichischen Künstlerinnen und Künstlern, die vom Center gepflegt wird. Das Getty Research Institute in Los Angeles, ein internationaler Player in der kunsthistorischen Forschung, greift darauf zu. Da weltweit viele Datenbanken auf das Getty Center zugreifen, werde so sichergestellt, dass international verlässliche Angaben zur österreichischen Kunst bereitstehen.

In der Podiumsdiskussion mit Roger Fayet, dem Direktor des Schweizerischen Institut für Kunstgeschichte in Zürich, und Thomas W. Gaehtgens, dem ehemaligem Direktor des Getty Research Institute, tauschte man sich über die Stärken und Schwächen der jeweils unterschiedlichen Profile der Einrichtungen aus – von den vergleichsweise kleinen Einrichtungen mit lokalem Fokus in Zürich und Wien bis zum finanzstarken Global Player mit universalem Erkenntnisanspruch aus den USA – und besprach Herausforderungen wie die Mittelakquise für langfristige Forschungsprojekte zur Erstellung von Werkverzeichnissen von Künstlern.

Vision für das Belvedere

Zum Ende der Diskussion entwickelte Gaehtgens die Vision, dass das Belvedere Research Center international und öffentlich sichtbarer werden könnte, wenn es sich in Zukunft stärker zu einer Forschungseinrichtung für die österreichische Kunst im Allgemeinen entwickelt, nicht nur für die Sammlungen des Belvedere: "Warum soll diese Einrichtung mit ihren Möglichkeiten in ein paar Jahren nicht einen neuen Blick auf die österreichische Kunst insgesamt eröffnen?"

Huemer zeigte sich davon angetan, äußerte sich aber zurückhaltender. Er sehe eine wichtige Aufgabe des Centers auch darin, das Erbe der österreichischen Kunst im internationalen Kontext zu verankern und zu verorten, sagte er. Eine Idee für die Zukunft könnte dabei sein, den Blick stärker auch auf die Region Zentraleuropa zu lenken.

Man wisse etwa viel über die Rezeption französischer Positionen in der österreichischen Kunst, vergleichsweise wenig aber über die Künstlernetzwerke in Zentraleuropa der Zwischenkriegszeit, meinte Huemer: "In der Vergangenheit haben wir in diesem Raum alle unsere jeweilige nationale Kunstgeschichte entwickelt. Es wäre an der Zeit, in Kooperationen, die die Vielfalt der Stimmen und Perspektiven aus den unterschiedlichen Ländern der Region zu Gehör bringen, stärker auch Berührungspunkte und Verbindendes zu suchen." (Miguel de la Riva, 7.11.2019)