Das Kryoelektronenmikroskop am IST Austria erlaubt 3D-Aufnahmen von Biomolekülen.

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Das Enzyms NNT, das eine wichtige Rolle im Stoffwechsel spielt, konnte mit der neuen Anlage analysiert werden.

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Jeder Hobbyfotograf weiß, dass ein bewegtes Objekt schwieriger abzubilden ist als ein fixiertes. Ebenso weiß jeder, der sein Wasserglas auf der gerade gelesenen Zeitung abstellt, dass die Buchstaben direkt darunter größer erscheinen. Auf der Grundlage dieser beiden an sich simplen Prinzipien werden in der Kryoelektronenmikroskopie auch in Österreich beeindruckende Vergrößerungen erreicht.

Ein Wasserglas funktioniert wie eine Lupe, weil die Ausbreitungsgeschwindigkeit des Lichts vom Material abhängt, in dem es sich bewegt. Im Vakuum ist es am schnellsten, in Luft, Glas oder Wasser jeweils unterschiedlich. Am Übergang von einem Material ins nächste wird das Licht gebrochen, der Lichtstrahl also abgelenkt. Mithilfe dieses Effekts fokussiert eine gekrümmte Linse Strahlen in einem Punkt, dem sogenannten Brennpunkt. Auf diese Weise erzeugt auch die Linse in unserem Auge ein Bild auf der Netzhaut.

Welle und Teilchen zugleich

Ein Vergrößerungsglas bricht die Lichtstrahlen in einem Winkel aufs Auge, als kämen sie von einem viel größeren Objekt. In einem Lichtmikroskop werden mehrere Linsen kombiniert, wodurch im Idealfall Punkte unterschieden werden können, die circa 0,2 Mikrometer voneinander entfernt sind. Diese maximale Auflösung ist nicht durch die technische Qualität des Mikroskops beschränkt, sondern als physikalisches Limit von der Wellenlänge des verwendeten Lichts abhängig. Zwar können spezielle Lichtmikroskope diese Grenze mit komplizierten Techniken unterbieten, aber eine natürliche Beschränkung bleibt stets vorhanden.

An dieser Stelle kommt die physikalische Revolution ins Spiel, die als Welle-Teilchen-Dualismus vor über 100 Jahren die klassische Physik auf den Kopf gestellt hat. Licht ist nicht nur als Welle, sondern auch als Teilchen beschreibbar. Ebenso lässt sich ein Strahl aus Elektronen als Welle darstellen und verwenden. Da Elektronen eine sehr kleine Wellenlänge haben, erlauben sie eine entsprechend höhere Auflösung. Als Linsen dienen dabei keine optischen Systeme, sondern Magnetfelder.

Vermessung per Elektronen

Bei einem Rasterelektronenmikroskop wird die zu untersuchende Probe durch den Elektronenstrahl abgetastet, und aus den von der Oberfläche reflektierten Elektronen wird ein Bild erstellt. Transmissionselektronenmikroskope funktionieren dagegen nach einem ähnlichen Prinzip wie das Lichtmikroskop: Ein Elektronenstrahl durchdringt eine extrem dünne Probe, und jene Elektronen, die nicht abgelenkt worden sind, werden von Magneten auf einen Schirm oder eine Kamera fokussiert.

Moleküle in der Luft würden die Elektronen stören, weswegen diese Experimente im Vakuum stattfinden müssen. Um auch biologische Proben untersuchen zu können, werden an die Vorbereitung des Probenmaterials einige Anforderungen gestellt. Die Probe muss im Vakuum stabil und jede Bewegung komplett gestoppt sein, Wasser und andere flüchtige Lösungsmittel dürfen nicht verdampfen.

Eine der Techniken, um dies zu erreichen, ist das Einfrieren. Dabei darf das enthaltene Wasser nicht zu Eis kristallisieren, um den biologischen Originalzustand nicht zu zerstören. In der Kryoelektronenmikroskopie wird das durch extrem schnelles Einfrieren auf Temperaturen von etwa -160 °C und darunter erreicht. Dabei kristallisiert das Wasser nicht, sondern bildet einen amorphen, glasartigen Zustand.

Natürlicher Schnappschuss

So können große Biomoleküle im Ganzen beobachtet werden und nicht nur Teile davon. Aus unzähligen Aufnahmen unter verschiedenen Winkeln wird ein dreidimensionales Bild berechnet, und Forscher erhalten einen räumlichen Schnappschuss von Proteinen in ihrem natürlichen Zustand.

Für die Entwicklung dieser Technik wurden Richard Henderson, Joachim Frank und Jacques Dubochet 2017 mit dem Chemienobelpreis ausgezeichnet. Kürzlich befasste sich ein Symposium am Institute for Science and Technology (IST) Austria in Klosterneuburg mit Kryoelektronenmikroskopie. Dort wurde die Electron Microscopy Facility im Herbst 2018 um drei hochmoderne Kryoelektronenmikroskope erweitert. "Es ist unsere Philosophie am IST Austria, dass Equipment und ausgebildetes Personal zentral für interne, aber auch externe Forschungsideen zur Verfügung stehen", sagt Ludek Lovicar, Manager der Electron Microscopy Facility. Die Strategie sei, möglichst viele Anwendungsbereiche und Fachgebiete zu erschließen.

Atomare Auflösung

Mit den neuen Instrumenten forschen am IST Austria vor allem die Arbeitsgruppen um Carrie Bernecky, Florian Schur und Leonid Sazanov. Die ersten Ergebnisse erschienen kürzlich im Fachmagazin "Nature". Leonid Sazanov und sein Kollege Domen Kampjut konnten die Struktur des Enzyms NNT auf beinahe atomarer Ebene auflösen. NNT befindet sich in den Mitochondrien und versorgt diese mit dem Molekül NADPH, das in vielen Stoffwechselreaktionen unerlässlich ist.

Störungen in diesem fein abgestimmten System führen zu Krankheiten wie dem sogenannten Metabolischen Syndrom oder Krebs. Die Aufklärung der strukturellen Mechanismen ist ein wichtiger Schritt, um die genaue Funktionsweise zu verstehen.

Die rasanten Fortschritte der Kryoelektronenmikroskopie in den vergangenen Jahren, die sogenannte "Resolution Revolution", sind vor allem auf die Entwicklung empfindlicherer Detektoren zurückzuführen.

Mit den neuen Möglichkeiten will Sazanov besonders jene Strukturen erforschen, die mit molekularer Bewegung einhergehen: "Wir versuchen, die Reaktion per Laser zu starten, nach Sekundenbruchteilen einzufrieren und zu sehen, was sich in dieser Zeit verändert." Es ist also nur eine Frage der Zeit, bis weitere Geheimnisse menschlicher Proteine gelüftet werden. (Markus Plank, 11.11.2019)