In der französischen Gastronomie herrscht Arbeitskräftemangel – eine Jobchance für Migranten.

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Die Frage ist politisch überaus heikel, berührt sie doch das französische Prinzip der Gleichheit: Kann die egalitäre Republik Immigranten nach ihrer Berufszugehörigkeit auswählen? Emmanuel Macron verneinte das noch im Präsidentschaftswahlkampf 2017, als sein konservativer Rivale François Fillon eine Quotenregelung vorschlug. Ein solches System beruhe auf einer "politischen Ideologie", argumentierte er damals.

Jetzt aber vollzieht der Präsident einen Schwenk, wenn nicht gar eine Kehrtwende: Wie Arbeitsministerin Muriel Pénicaud am Dienstag ankündigte, will die Regierung in Paris am heutigen Mittwoch ein Quotensystem vorlegen, das – wie in Kanada – Mängel am Arbeitsmarkt berücksichtigt. Das französische Parlament soll einmal im Jahr den Bedarf pro Berufsgruppe beziffern. In Kraft treten soll die Neuerung Anfang 2021.

Diese "quotas" können laut Experten mithelfen, 150.000 Stellen zu besetzen, die in Frankreich trotz der hohen Arbeitslosigkeit frei bleiben. Betroffen sind unter anderem Kellner, Köche, Schreiner, Hotelangestellte und Spengler, aber auch höher qualifizierte Berufe wie Veterinäre oder Informatiker. Die Umsetzung wäre relativ leicht zu bewerkstelligen, da die Grundlage bereits existiert: Die 13 französischen Regionen führen bereits Listen unterbesetzter Berufe.

Kritik an Regierungsplänen

Die Reaktion der Berufsverbände auf diese Initiative fällt erstaunlicherweise eher verhalten aus. Der Chef des französischen Baugewerbes (FFN), Jacques Chanut, bezeichnete die Neuerung als unnötig. Besser sei es, dass alle Franzosen eine korrekte Ausbildung erhielten; mehr brauche es nicht, um "auf dem Bau" zu arbeiten. Auch der Ökonom Christian Saint-Etienne – der Ausländerquoten grundsätzlich begrüßt – bemängelt, dass Frankreich jährlich nur 60.000 IT-Ingenieure ausbilde, das sind 30.000 weniger als erforderlich. Die Gewerkschaften gehen ihrerseits auf Distanz. Gemäß Laurent Berger von der CFDT brauche Frankreich dieses Gesetz nicht, denn die Arbeitgeber hätten heute schon die Möglichkeit, Ausländer in Mangelberufe zu holen. Dafür müssen sie allerdings den Beweis erbringen, dass sie für denselben Job keine Franzosen gefunden haben.

Auch sonst ist das Antragsverfahren in Frankreich so komplex, dass es kaum je benützt wird – und wenn, dann zumeist nur für Saisonnierstellen.

Frankreichs Linke läuft gegen die Neuerung Sturm. Sozialistenchef Olivier Faure wirft Macron einen "zynischen" Missbrauch der Ausländerfrage vor, die Linkenvertreterin Manon Aubry gar ein "schändliches" Verhalten – und zwar, weil Macron zugleich die medizinische Grundversorgung (AME) für Ausländer einschränken will: Asylwerber sollen davon nicht mehr sofort, sondern erst nach drei Monaten in Frankreich von der AME profitieren, und dies auch nur noch bei bestimmten Diagnosen.

"Pflegetourismus"

Das Kürzel AME (Aide Médicale d'Etat) ist in Frankreich seit langem ein Reizwort. Die Rechtspopulistin Marine Le Pen behauptet, diese Versicherung führe zu einem eigentlichen "Pflegetourismus" aus Ländern wie Georgien oder Albanien, was Frankreich jährlich eine Milliarde Euro koste. Christophe Deltombe vom Hilfswerk Cimade erklärt dagegen, die Missbräuche seien "sehr selten"; beträchtlich seien einzig die Verdächtigungen, denen Ausländer ausgesetzt seien.

Mit dem Quotenmodell kann Deltombe grundsätzlich leben. Aber nur, so fügte er an, wenn es "gesundem Menschenverstand" – und nicht politischen Hintergedanken – folge.

Letztere sind indes nicht von der Hand zu weisen. Fünf Monate vor den Gemeindewahlen in Frankreich setzt Macron alles daran, immigrationspolitisch Gegensteuer zu Le Pens Nationaler Sammlungsbewegung (RN) zu geben. Zu diesem Zweck hat der Staatschef vergangene Woche der rechtskonservativen Zeitschrift "Valeurs actuelles" ein Interview gegeben: Darin gab er bekannt, dass er auch die Familiennachführung aus Emigrationsländern einschränken wolle. (Stefan Brändle aus Paris, 6.11.2019)