Früher war alles anders, meint Dieter Strehl. No na! Ob besser oder schlechter, ist nicht sein Thema. Er wird nicht fürs Philosophieren bezahlt. Sein Business ist es, Spielkarten und Spiele zu verkaufen. Geschichten kennt der Mann trotzdem, schließlich ist er nicht nur der Boss von Piatnik, sondern auch der Ururenkel des Firmengründers.

Das "Früher" des fast 200 Jahre alten Familienunternehmens, das in einem Jugendstil-Fabriksgebäude auf der Wiener Hütteldorfer Straße untergebracht ist, beginnt beim Eingang. Gleich nach dem Entrée, das in schwarzem Marmor gehalten ist, sitzt eine Empfangsdame hinter einer Glasscheibe.

An der Wand hängt ein kleines Regal, das einem Schlüsselfach ähnelt, wie man es von Hotel-Rezeptionen kennt. In den Fächern liegen Spielkarten. "Früher haben die Menschen oft einzelne Karten nachbestellt, weil zum Beispiel der Hund die Pik-Ass oder sonst eine Karte gefressen hat. Wir besitzen Briefe dieser Art aus der ganzen Welt", erzählt Strehl. Und warum hängt der Kasten noch immer dort? "Weil solche Anfragen gelegentlich noch immer kommen", sagt der Endfünfziger.

Jockey & Caravaggio

Auch in Strehls Büro, gleich vis-à-vis, gibt es viel "Früher": Spielkarten aus zwei Jahrhunderten, ein Bronze-Jockey samt Pferd, beide stehen für das bekannte Firmenlogo, weiters das Modell eines alten schwarzen Ford Mustang, wie Strehl einen besitzt, und jede Menge Bücher.

Dieter Strehl, Ururenkel des Firmengründers und Herr im Hause von Piatnik, dem Reich der Spielkarten und Spiele.
Foto: Heribert Corn www.corn.at

Obenauf liegt ein Schinken über Caravaggio. "Wir haben gerade ein Caravaggio-Puzzle anlässlich der Ausstellung im Kunsthistorischen Museum in Wien herausgebracht", sagt Strehl, nachdem er, die Augenbrauen hochziehend, ein paar Spiele-Verpackungen begutachtet hat, die ihm ein Mitarbeiter unter die Nase hielt.

Neben Strehls vollgeräumtem Schreibtisch stapeln sich meterhoch Spiele-Schachteln, die in allen möglichen Sprachen bedruckt sind. Vor dem geöffneten Fenster seines Büros, wo ein mächtiger, gemauerter Fabriksschlot das "Früher" abrundet, hört man Hubstapler herumfahren. Sie transportieren Paletten zu Lkws. Der Verkehr im Hinterhof ist beachtlich.

Mittlerweile liefert Piatnik, einer der führenden Anbieter von Spielen in Europa, 25 Millionen Spielkartenpakete, zwei Millionen Spiele und eine Million Puzzles pro Jahr in über 70 Länder. Umsatztechnisch liegt man in der Größenordnung von 25 bis 30 Millionen Euro. Abnehmer sind Tabaktrafiken ebenso wie der Onlineriese Amazon, der ganze Lkw-Ladungen ordert.

Jeder kennt die Spielkarten aus dem Hause, unter besonders eifrigen Kartenspielern gibt es gar den Ausspruch "Heiliger Piatnik, schau oba", der für ein Flehen um ein gutes Blatt steht. Oder einen Fluch.

Die Spielkarten von Piatnik sind ein Stück Österreich wie Mannerschnitten, Almdudler oder PEZ-Figuren.
Foto: Heribert Corn www.corn.at

Strehl, der selbst am liebsten Tarock spielt – Jassen ist ihm zu kompliziert -, versteht sich als Spiele-Verleger und -Produzent, der auch Zulieferer beschäftigt, zum Beispiel für Holz- oder Plastikteile. Karten, Pläne und Schachteln werden hier in Hütteldorf produziert.

Die Spiele beziehungsweise die Ideen dafür werden von Spiele-Autoren geliefert. Bis zu 1000 Einsendungen landen jedes Jahr auf Strehls Schreibtisch. Von dort kommen sie in eine hausinterne Redaktion. Alles, was taugt, knöpft sich Strehl erneut vor. "Man ist immer auf der Suche nach dem neuen 'Superspiel'".

Eingesendet werden die Ideen von Kindergärtnerinnen, Lehrern, Spielefans oder von professionellen Erfindern, die mitunter von ihrem Erfindergeist leben können. Wie viele das sind, weiß Strehl nicht, aber er spricht von einer lebendigen Szene und erwähnt auch die Spieleagentur "White Castle", die im Wiener Museumsquartier untergebracht ist und Spieleerfinder vermittelt.

Die wichtigsten Anforderungen für Erfolg in dem Job seien Kreativität und mathematische Fähigkeiten. Auch als Verleger sollte man eine Affinität zu dieser Spielewelt haben. Oder wie Strehl es vergleicht: "Für den Beruf eines Weinbauern ist es wohl kaum die beste Voraussetzung, Antialkoholiker zu sein."

Professionalisierung der Spielewelt

Wer glaubt, die Spielebranche leide unter dem übermächtigen Internet samt Online-Games, denkt nachvollziehbar, aber offensichtlich nicht richtig. "Gab es früher zehn Spieleverlage, sind mittlerweile 70 am Markt. Vor 35 Jahren kamen 170 Spiele im deutschen Sprachraum heraus, jetzt sind es 3000. Unter anderem, weil die Entwicklung von Spielen viel professioneller geworden ist", erklärt Dieter Strehl, dem es wichtig ist, dass man beim Spielen gemeinsam lachen kann. Hier sieht er das digitale Angebot im Nachteil.

"Haben Sie schon mal jemanden beim Ego-Shooter-Spielen herzhaft lachen gehört", fragt er und setzt nach: "Außerdem wird im Zeitalter des Internets auch noch Fußball gespielt. Dabei handelt es sich ja auch um eine analoge Angelegenheit. Oder? Sie würden sich wundern, wie viele Menschen Spieleabende veranstalten."

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Trotz aller Unkenrufe hat sich das Blatt für Brett- und Kartenspiel offensichtlich nicht gewendet. Ein Blick in die Kristallkugel von Strehl fällt folgendermaßen aus. "Warum soll es in 50 Jahren keine Schachweltmeisterschaften oder Billardevents mehr geben?"

Laut einer Umfrage des Allensbacher Instituts spielen rund 34 Millionen Deutsche ab und zu Gesellschaftsspiele, rund 5,6 Millionen sogar regelmäßig. Eine Aussendung des Verbandes "Spieleverlage e. V.", deren zweiter Vorsitzender Strehl ist, informiert, dass das Spielen bei Erwachsenen, Studenten oder auch älteren Jugendlichen immer populärer wird. Vor allem Party- und Kommunikationsspiele lägen bei den Konsumenten voll im Trend.

Anleitung per Youtube

Insgesamt sind bei Piatnik 400 Brettspiel-Titel im Programm. Manche sind eigene Kreationen, andere vertreibt Strehl wie ein Buchverleger in Lizenz. Klassiker sind deshalb so beliebt, weil die Leute mit den Regeln vertraut sind.

Auch Strehl hat keine Lust auf 50-seitige Spielbeschreibungen. Man kennt die vermaledeiten Spielerklärungen, das Ganze verhält sich irgendwie wie einst beim Programmieren eines Videorekorders. Strehls Rat? "Manche kommen nicht einmal mit der Anleitung für den Zusammenbau eines "Billy"-Regals zurecht. Aber heute kann man alles auf Youtube nachschauen. Für nahezu jedes Spiel gibt es ein Erklärungsvideo."

Und tatsächlich: Tippt man auf Youtube "Spielregeln Uno" ein, findet sich ein Erklärungsfilmchen, das über drei Millionen Mal aufgerufen wurde. Und das für Uno!

Eine ganz besondere Geschichte lässt sich vom Brettspiel "Activity" erzählen: Zwei Ehepaare in der Obersteiermark haben sich derart fadisiert, dass ihnen die Idee zu dem Spiel kam, welches ihnen einen gehörigen Reibach einbrachte. Angeblich war im betreffenden Landstrich so wenig los, dass auch das Bundesheer seine Trainingsflüge dort absolvierte. Erschienen ist das Spiel erstmals 1990.

Zwei Ehepaare in der Obersteiermark haben sich derart fadisiert, dass ihnen die Idee zu dem Spiel "Activity" kam.
Foto: Heribert Corn www.corn.at

",Activity' ist einer unserer Superrenner, der sich über acht Millionen Mal verkauft hat und in 13 Sprachen übersetzt wurde. In Russland wurde es Spiel des Jahres und in Deutschland und Ungarn sogar gefakt. "Das konnte ich aber abstellen", sagt der Geschäftsmann in einem Tonfall der Genugtuung.

Klar gibt es auch Geschichten zu DKT ("Das kaufmännische Talent"), das erstmals 1936 unter dem Titel "Spekulation" erschien und mittlerweile in verschiedensten Varianten aufgelegt wird. Der Bauunternehmer Erwin Soravia gönnte sich zu seinem 50. Geburtstag eine eigene Firmen-Edition, auch ein Floridsdorf- oder Alpen-DKT ist erhältlich.

Auch nicht schlecht ist die Story, die Strehl zu "Mensch ärgere Dich nicht" parat hat. Dabei handle es sich um einen Nachkommen eines indischen Spiels, bei der die Wiedergeburt thematisiert wird. In Deutschland kam es vor über 100 Jahren auf den Markt. Sein Erfinder beziehungsweise Weiterentwickler Josef Friedrich Schmidt schickte während des Ersten Weltkriegs 3000 Spiele an Lazarette, um den Verwundeten die Zeit zu vertreiben, sagt Strehl, während er ins Musterzimmer führt.

Dreidimensionales Wimmelbuch

Der Raum wirkt wie ein Kunsthistorisches Minimuseum in Sachen Spiele und Spielkarten, eine Art dreidimensionales Wimmelbuch. An den Wänden und in Regalen zeigen sich Kartenspiele aller Epochen und Themengebiete. Wie wäre es mit "D-Day", "Lord Nelson", "Royal Brides" oder einem Spiel, das schrullige Briten zum Thema hat?

Das Kartenspiel zur Entwicklung der Wassertoilette lief nicht so gut, weiß Strehl, der mit 23 Jahren im Jahr 1985 in die Firma eintrat. Auch im Musterzimmer taucht der Jockey samt Pferd auf. "Der Entscheidung für den Reiter und seinen Untersatz als Firmenlogo liegt eine große Leidenschaft für Pferderennen und Pferde einiger meiner Vorfahren zugrunde", erklärt der Chef.

Warum auch nicht? Ferrari, Porsche, Ralph Lauren oder Hermès haben ebenfalls aufs Pferd gesetzt. Apropos aufs richtige Pferd setzen: Gegründet wurde das Unternehmen, das heute 107 Mitarbeiter zählt, im Jahre 1824 von Strehls Ururgroßvater Ferdinand Piatnik.

Den in Budapest Geborenen hatte es auf der Walz nach Wien in die Kartenmacherwerkstatt von Karl Moser verschlagen. Nachdem dieser das Zeitliche gesegnet hatte, ehelichte Ferdinand die Witwe und übernahm auch gleich das Unternehmen, das seinerzeit noch im siebten Bezirk untergebracht war. In den 14. Bezirk übersiedelte man 1891. Heute misst der Betrieb 14.000 Quadratmeter.

Verlässt man das Musterzimmer, führt ein langer Gang vorbei an gepolsterten Türen und einem Regal mit verstaubten Spielkartenpackerln. Auf einem ist auf der Hinterseite der Aufdruck des Casinos von Monte Carlo zu sehen. Fast möchte man zum Langfinger werden.

Das Kartenspiel zur Entwicklung der Wassertoilette lief nicht so gut.
Foto: Heribert Corn www.corn.at

In der Produktion ist Schluss mit "Früher". Eine moderne, gut 30 Meter lange Druckmaschine spuckt Hunderte Bögen mit Spielkartenmotiven aus. In einer Stellage türmen sich Töpfe, gefüllt mit allen Farben des Regenbogens, auch Ass-Rot ist dabei. Im Zimmer nebenan sitzen Mitarbeiter an Computern und arbeiten an Layouts.

Obwohl das Gebäude weit mehr als 100 Jahre auf dem Buckel hat, wirkt die Anlage sehr modern und im Gegensatz zum Musterzimmer oder Strehls Büro reduziert-nackig. In einem Trakt wachsen riesige Quader aus Papier bis zur Decke.

Noch weiß man nicht, ob sie zu Casino- oder Jasskarten werden oder zu Piatniks "World War II"-Karten. Auf diesen Päckchen liegt obenauf das Motiv der St. Paul's Cathedral, umgeben von dunklen Rauchschwaden. "Besonders die Briten stehen auf Karten, die sich um das Thema des Zweiten Weltkriegs drehen", weiß Strehl.

Spiel-Schichten

Ein Stockwerk höher falten Maschinen Spiele-Schachteln. In Comicsprache übersetzt lässt sich der Lärm mit "bumm, zack, bumm, zack, peng" übersetzen. Die Arbeiterinnen daneben hören dieses Geräusch Schicht für Schicht. Die Frauen sind damit beschäftigt, die Einzelteile von "Activity"-Spielen in die frisch gefalteten Schachteln zu schlichten.

Die eine legt Karten ein, eine andere gelbe Spiele-Kegel. An einer der Maschinen gleich daneben hängt ein ziemlich abgenudelter Teddybär. Er sieht aus, als wäre er schon länger Zeitzeuge bei Piatnik.

"15 Jahre sind unsere Mitarbeiter im Schnitt beschäftigt. Das gilt auch für Hilfsarbeiter. Außerdem kommen 60 Prozent der Leute zu Fuß in die Firma", sagt Strehl nicht unzufrieden, als er durch das Lager im Erdgeschoß führt. Hier stehen Berge von verpackten Spielen. Man wähnt sich in einem Irrgarten aus Kartontürmen.

In den Schachteln liegen säuberlich verpackt Spiele mit den Namen "Bumpi", "Karawanix", "Bison", "Pass the bomb" und natürlich "DKT". Sie sind bereit für die Abreise in die Türkei, nach Russland, England, Israel und Italien, alle werden von Jockey und Pferd begleitet.

Hier unten, allein hätte man sich längst verlaufen, werden Strehls Schritte schneller. Dann schaut er auf die Uhr. Er muss weiter. Schließlich ist er kein Fremdenführer, sondern Manager.

Bleibt beim Auf-Wiedersehen-Sagen noch eine Frage: Sind eher Frauen oder Männer Spiele-Typen? "Eindeutig Männer!" Warum? "Weil die meisten bekanntlich ihr ganzes Leben in der Pubertät verbringen." (Michael Hausenblas, RONDO, 10.11.2019)

Dieser Artikel erschien im Rahmen einer Schwerpunktausgabe über Spiele.
Foto: Lucas Friesenbichler/ Magdalena Rawicka