Hände in die Höh' – bis jede Nummer in den Charts eine Deutschrap-Nummer ist!

Foto: Sebastian Reuter

"Was, du kennst Apache nicht?", ruft Alex Schell ins Telefon, als wäre man ihm auf den Fuß gestiegen. "Entschuldige mal, der hat gerade drei Lieder in den Top Ten!" Schell arbeitet bei Barracuda Music, einem Veranstalter, der für Konzerte aller Genres bis zu Festivals wie dem Frequency verantwortlich zeichnet. Er muss daher wissen, was gerade angesagt ist. Der Rapper und Sänger Apache 207 feierte erst dieses Jahr im April mit der Nummer Kein Problem seinen Durchbruch. Das Video zählt mittlerweile mehr als 14 Millionen Aufrufe auf Youtube.

Apache 207

Apache 207, der überhaupt erst 2018 auf der Bildfläche auftauchte und mittlerweile kleinere Hallen füllt, steht emblematisch für mehrere Phänomene, die sich gerade im Deutschrap-Bereich beobachten lassen.

Der Begriff Deutschrap wurde bereits in den 90ern vom Hip-Hop-Magazine Juice geprägt und hat sich vor ungefähr zehn Jahren als Bezeichnung für ein Genre durchgesetzt, das eigentlich keines ist. Denn es wurden immer die unterschiedlichsten Stile unter Deutschrap subsumiert – egal ob es sich um spaßiges Reimen für Studis von den Fantastischen Vier oder um Berliner Auf-die-Fresse-Rap eines Bushido handelte.

Mittlerweile Mainstream

Ganz deutlich geändert hat sich, dass Deutschrap mittlerweile im Mainstream angekommen ist. Während früher zwar einzelne Acts wie die Beginner kommerzielle Erfolge einfahren konnten, handelte es sich dabei im Großen und Ganzen um Einzelphänomene: Der Rest spielte sich in Subkulturen und Nischen ab, aus denen es alle Jahre wieder eine Gruppe oder ein Solokünstler (ja, meistens Männer), in die Charts hochspülte. Generationen und "Schulen" lösten sich, zumindest retrospektiv betrachtet, stärker ab. Auf mütterbeleidigende Rapper folgten die dreifachreimenden Weltverbesserer und umgekehrt.

Deutschrap hat sich Anfang der 2010er-Jahre einer größeren Öffentlichkeit als "multidimensionale Angelegenheit" zu präsentieren begonnen, wie der FM4-Journalist und Hip-Hop-Kenner Stefan Trischler sagt. Auf der einen Seite gab es "Emo-" und "Hipster-Rap" von den Caspers und Cros, gleichzeitig wurde ein Gangster wie der Offenbacher Haftbefehl im Feuilleton für seine Sprachkunst gefeiert – unterschiedliche Stile fanden ab dann nebeneinander statt.

Universal URBAN

Eine Vorreiterrolle nahmen Rapper auch bei der Nutzung neuer Möglichkeiten wie Instagram ein, um direkt mit Fans zu kommunizieren. Sie entwickelten – ihren amerikanischen Vorbildern getreu – neue Wege der Musikpromotion, die kaum noch Mittelsmänner in Form klassischer Medien brauchten. Das ist auch der Grund, warum Menschen, die keine Charts hören, oft überhaupt nichts von diesen Szenen mitbekommen und sich ihnen der Reiz eines Apache, wenn sie dann einmal ein Lied hören, nicht oft erschließt: Ohne Video, ohne Instagram-Feed, ohne das ganze Drumherum ist das Erlebnis nicht komplett.

Der musikalische Turn

Der wichtigste Grund, warum Deutschrap heute aber so unheimlich erfolgreich ist, ist tatsächlich ein musikalischer. Deutschrap hat mittlerweile mit Pop oft weitaus mehr zu tun als mit einer Hip-Hop-Tradition der alten Schule. Rapper wie den eingangs erwähnten Apache, der – horribile dictu! – Rap mit Eurodance mischt, Persönlichkeiten wie Yung Hurn oder Raf Camora verbindet auf den ersten Blick nicht vieles, außer dass sie alle die Melodie für sich entdeckt haben. Besonders Camora kommt hier eine Pionierrolle im deutschsprachigen Raum zu. Refrains oder Hooks werden direkt an den Anfang des Liedes gesetzt, die Songs sind kurz und optimiert für Streamingdienste, und sie funktionieren oft auch in der Großraumdisco.

RAF Camora

Die früheren Berührungsängste sind dem Wunsch, kommerziell erfolgreich zu sein (für die ersten Deutschrapper übrigens ein Sakrileg!), ganz und gar gewichen. Deutschrap wird sich, wie es aussieht, weiterhin dem Markt anpassen – bis jedes Lied in den Charts eine Deutschrap-Nummer ist. (Amira Ben Saoud, 6.11.2019)